Inland

Sterbehilfe: Selbstbestimmung von der Wiege bis zur Bahre?

Soll ärztliche Unterstützung beim Suzid von Menschen erlaubt werden? Aktuell liegen mehrere Entwürfe für eine gesetzliche Regelung der assistierten Sterbehilfe vor. Unser Pro und Contra gibt Raum für Argumente.
von Eva Högl · 8. September 2015
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 die bisherigen Regelung zum „assistierten Suizid“ gekippt.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 die bisherigen Regelung zum „assistierten Suizid“ gekippt.

PRO:

Carola Reimann:  Wer ein Leben lang für sich selbst entscheidet, will dies auch am Lebensende tun.

Der Bundestag hat sich für die Diskussion über die Sterbehilfe viel Zeit gelassen. Zeit, die viele Abgeordnete für Veranstaltungen aber auch für ganz persönliche Gespräche genutzt haben. Für mich hat sich dabei das bestätigt, was Umfragen schon lange immer wieder zeigen. Die Menschen wollen nicht, dass der Staat mit Verboten in den sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod eingreift. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Leid und Kontrollverlust sie am Lebensende ertragen müssen. Wer ein Leben lang für sich selbst entscheidet, der will dies auch am Lebensende tun.

Der Gesetzentwurf zur Suizidhilfe, den ich gemeinsam mit weiteren Abgeordneten initiiert habe, lässt sich von diesen Gedanken leiten. Als einziger Gesetzentwurf lehnt er strafrechtliche Verbote der Suizidhilfe ab. Stattdessen will er Patienten und Ärzten mehr Rechtssicherheit geben. Denn zehn der 17 Ärztekammern untersagen Ärzten die Suizidhilfe, obwohl diese in Deutschland straflos ist. Ärzten, die Suizidhilfe leisten, drohen somit in einigen Bundesländern berufsrechtliche Konsequenzen, in anderen wiederum nicht. Dieses Regelungschaos verunsichert Ärzte und ihre schwerkranken Patienten.

Der Plan einiger Abgeordneter, die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe zu stellen, würde diese Verunsicherung noch verstärken. Denn auch Ärzte würden von einer solchen Regelung erfasst. Erst kürzlich haben angesehene Strafrechtsexperten in einem vielbeachteten Aufruf ausdrücklich vor einer solchen Regelung im Strafrecht gewarnt. Gesetzliche Regelungen im Strafrecht lösen keine Probleme, sie schaffen zusätzliche.

Deshalb sieht unser Gesetzentwurf eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch vor. Volljährigen und einsichtsfähigen Menschen soll ermöglicht werden, die freiwillige Hilfe eines Arztes bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch zu nehmen, wenn feststeht, dass eine unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, der Patient objektiv schwer leidet, eine umfassende Beratung des Patienten stattgefunden hat und die ärztliche Diagnose von einem weiteren Arzt bestätigt wurde.

Ich will nicht, dass sich verzweifelte Menschen an anonyme Sterbehilfevereine wenden müssen. Ich will, dass Menschen in großer Not sich ihrem persönlichem Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen können, weil er es ist, der sie fachlich am besten beraten kann. Dafür wollen wir einen rechtssicheren Rahmen schaffen.

CONTRA

Eva Högl: Ich möchte nicht, dass der assistierte Suizid eine normale Dienstleistung wird.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Sterbehilfe. Was ich jedoch nicht möchte ist, dass der assistierte Suizid eine normale Dienstleistung wird, die Patientinnen und Patienten als eine von mehreren gleichwertigen Optionen am Ende des Lebens wählen können. Mit unserem Gesetzentwurf, der das Ziel hat, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen, beschreiten wir einen Weg der Mitte. Die bisherigen Regelungen in Deutschland, insbesondere die Abgrenzung von strafbarer Tötung auf Verlangen und straffreier Beihilfe zum Suizid, haben sich bewährt und daran wollen wir festhalten. Wenn aber geschäftsmäßige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten können, sich das Leben zu nehmen, bedarf es einer Korrektur. Unser Entwurf stellt – im Gegensatz zum Gruppenantrag von dem CDU-Abgeordneten Sensburg u.a. – nicht den assistierten Suizid grundsätzlich unter Strafe. Nur die Tätigkeit von sogenannten „Sterbehilfe-Vereinen“ oder Einzelpersonen, die geschäftsmäßig, also auf Wiederholung angelegt handeln, möchten wir verbieten.

Ich bin auch strikt gegen eine Ausweitung oder Aufwertung der Suizidbeihilfe durch Institutionalisierung und Festschreibung eines entsprechenden rechtlichen Rahmens, wie es andere Gruppenanträge vorsehen. Die Antwort einer solidarischen Gesellschaft auf Unsicherheiten und Ängste, die viele Menschen am Lebensende haben, darf nicht die Ausweitung von Sterbehilfe sein. Ein Sterben ohne Leiden und ohne Schmerzen ist im Rahmen der Palliativmedizin bereits heute selbst bei schwersten Krankheiten in den meisten Fällen möglich. Darüber müssen wir in der Öffentlichkeit besser aufklären. Wichtig ist mir, dass das Ende des Lebens unter Einbeziehung der Menschen aus dem Umfeld des Sterbenden unter ethischen Gesichtspunkten individuell gestaltet wird.

In den Einzelfällen, in denen auch nach Ausschöpfung aller palliativmedizinischen Möglichkeiten das Leiden groß ist, muss der Freiraum, den Ärztinnen und Ärzte in ethischen Grenzsituationen am Ende des Lebens schon heute haben, unbedingt erhalten und gesichert werden. Ihnen muss erlaubt bleiben, in besonderen Fällen individuelle Entscheidungen zu treffen. Unser Entwurf schränkt daher ausdrücklich nicht die bestehenden ärztlichen Handlungsmöglichkeiten am Lebensende ein, wie es der Gruppenantrag Reimann u.a. vorsieht.

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Autor*in
Eva Högl

ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion

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