„StellA“ macht Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt
Wie schnell die Wirklichkeit eine Prognose in den Schatten stellen kann, hat Birgit Heinlin in ihren Unterlagen zum Projekt StellA („Schnelle Integration von Flüchtlingen und Asylbewerber/innen in gemeinsamer Verantwortung“ ) dokumentiert. Die Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit Reutlingen ist damit beschäftigt, die Projektidee der Arbeitsagentur und der Landkreise Reutlingen und Tübingen umzusetzen: Flüchtlinge schneller als anderswo in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die Prognose, die vor einem Jahr kam und die die Politik zum raschen Handeln trieb, war durchaus alarmierend: „Aktuell erreicht die Zahl der Flüchtlinge, die in Baden-Württemberg aufgenommen werden, den höchsten Stand seit 1990“, liest Heinlin aus der Projekt-Beschreibung von StellA vor. Beim nächsten Satz schmunzelt sie: „Allein 2014 sollen 26 000 Flüchtlinge aufgenommen werden.“ Zum Vergleich: Im September dieses Jahres kamen allein 27 000 Schutzsuchende in das Bundesland im Südwesten.
Flüchtlinge sollen Lücken der Wirtschaft schließen
„Die Entwicklung hat uns alle fast überrollt“, sagt Birgit Heinlin. Gleiche Chancen für Flüchtlinge? Dass sich dieses Ziel auf absehbare Zeit keinesfalls erreichen lässt, weiß Heinlin. Ihr Ziel ist etwas weiter gesteckt, nämlich etwas gegen die Chancenlosigkeit der Geflüchteten zu tun.
Die Landkreise Reutlingen und Tübingen sind ebenso wie der Landkreis Ludwigsburg und der Ortenaukreis vom Land Baden-Württemberg nicht zufällig für das Pilotprojekt ausgewählt worden: Die Arbeitslosigkeit ist gering, der Fachkräftemangel groß, und Ausbildungsplätze sind unbesetzt. Flüchtlinge, die studiert haben oder Berufserfahrung mitbringen und eine „hohe Bleibewahrscheinlichkeit“ haben, könnten solche Lücken schließen.
Abkürzung durch den Behördendschungel
Damit die Arbeitgeber nicht darauf warten müssen bis das zähe Integrationsprozedere abgeschlossen ist, bevor es mit der Berufsqualifizierung losgehen kann, schlägt StellA eine Abkürzung durch den Behördendschungel: Die ausgesuchten Projektteilnehmer dürfen früher als andere in einen Sprachkurs. Gleichzeitig kümmern sich Arbeitsvermittler intensiv um sie. Drei Kolleginnen hat Birgit Heinlin für diese Aufgabe dazubekommen. Die Frauen sind oft draußen bei den Unternehmen, um den künftigen Stellensuchenden den Weg zu ebnen. „Das ist schwierig, weil Arbeitgeber zum Beispiel bereit sein müssen, die Flüchtlinge ortsüblich zu bezahlen“, sagt Heinlin. In der reichen Region ist das in der Regel nicht der Mindestlohn, sondern zwei oder drei Euro mehr.
Knapp 200 Flüchtlinge nehmen in den Landkreises Reutlingen und Tübingen zurzeit am Projekt teil. 22 haben bereits eine Arbeit angefangen, sieben eine Ausbildung. 60 besuchen aktuell einen etwa einjährigen Sprachkurs, der fünfmal die Woche vierstündig nachmittags stattfindet. Er ist das Schlüsselelement des Integrationsprojekts. Die übrigen müssen auf die Sprachqualifizierung warten, mehr gibt das Budget nicht her.
Lehrkräfte fehlen, die Bürokratie schießt quer
Jochen Wacker organisiert bei der Volkshochschule (VHS) Reutlingen die Sprachkurse. Er findet StellA wichtig. Gleichzeitig treibt ihn das Projekt manchmal an den Rand der Verzweiflung. Ihm fehlen Lehrkräfte und die Bürokratie macht ihm zu schaffen. Er arbeitet mit Honorarkräften. Zwischen 20 und 25 Euro kann er ihnen pro Stunde bezahlen. Am Ende des Monats kommt eine Lehrkraft so auf 800 Euro. Wacker fürchtet, dass ihm die Deutschlehrer endgültig davonlaufen, wenn die staatlichen Bildungsträger verstärkt Flüchtlinge aufnehmen und dafür Lehrkräfte nach Tarif einstellen.
Regina Petrides wird wohl auch dann der VHS als Lehrkraft treu bleiben, obwohl sie die „prekäre Situation“ beklagt, in der sie sich wegen der schlechten vom Staat vorgegebenen Bezahlung sieht. Die Lehrerin betreut seit Juli einen Sprachkurs in Reutlingen. Es ist Freitagnachmittag, und fast alle ihrer Schüler – alles junge Männer – sind anwesend. Sie stammen aus Schwarzafrika, einer aus Pakistan. Er ist IT-Spezialist. Auch andere haben in ihrem Herkunftsland eine Universität besucht, aber ein Buchhalter und ein Krankenpfleger sind ebenso unter Petrides’ Schülern. Mit ihren Deutschkenntnissen stehen sie noch ganz am Anfang.
Was wird von StellA übrig bleiben?
Alle sagen sie, dass es ihnen in Deutschland sehr gut gefällt, gleichzeitig beklagen sie, dass es mit der Integration nicht schnell genug vorangeht. Sie wollen Auto fahren, aber ihr Führerschein wird nicht anerkannt. „Ihnen fehlt es oft an Geduld“, sagt die Lehrerin – und wirkt nicht wirklich zufrieden. Manche seien sehr motiviert, andere hätten noch gar nicht begriffen, wie wichtig es für sie sein wird, am Ende des Kurses verständlich Deutsch zu sprechen. „Sie sind sehr auf sich bezogen, was in der Gesellschaft vor sich geht, interessiert sie nicht“, sagt Regina Petrides. Alle sprächen gut Englisch, sie könnten sich informieren.
Obwohl StellA angesichts der großen Zahl der Flüchtlinge, der Finanzen und fehlender Lehrkräfte kaum Chancen hat, flächendeckend zu werden, sehen Heinlin, Wacker und Petrides den Mehrwert des Projekts zumindest darin, dass sie Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen weitergeben können.
ist freier Journalist, unter anderem für die Stuttgarter Zeitung und die Deutsche Presseagentur. Er ist zudem Fachtexter für die Einfache Sprache/Plain Language.