Steinmeier „überwältigt“ von Reaktionen auf Kandidatur zum Bundespräsidenten
Dirk Bleicker
Frank-Walter Steinmeier, 2016 war kein gutes Jahr für die Demokratie in der Welt, stattdessen eilen die Populisten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Wie kann dieser Trend gestoppt werden?
Es gibt keinen Grund, die Lage schönzureden. Den Ausgang des britischen Brexit-Referendums hätte ich mir genauso anders gewünscht wie die US-Wahlen. Die Wahlen in Österreich sind immerhin ein Lichtblick: Die Wähler haben Alexander van der Bellen gerade gegen einen Kandidaten der populistischen Rechten zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt. Das war ein guter Tag, auch für Europa. Mir macht es große Sorge, dass Populisten hierzulande und in ganz Europa an Zustimmung gewinnen. Dagegen müssen wir angehen: Indem wir gut zuhören und Antworten geben, wie wir die Dinge besser machen.
Beim Brexit-Votum, der Trump-Wahl und der österreichischen Präsidentenwahl hat die Angst vor einer ungebremsten und ungesteuerten Zuwanderung eine entscheidende Rolle gespielt. Was sollte die Politik daraus lernen?
Mit diesen Ängsten wird gespielt und gezielt verunsichert. Viele Menschen haben noch nicht gesehen, welche konkreten Schritte wir in Europa gemeinsam gemacht haben, um die Flüchtlingskrise zu überwinden: Unterstützung der Flüchtlinge in den Herkunftsländern, ein europäisches Grenzmanagement, die Vereinbarungen mit der Türkei, konkrete Unterstützung für Griechenland. Es ist unsere Aufgabe zu zeigen: Wir legen unsere Hände nicht in den Schoß, und unsere Maßnahmen greifen tatsächlich. Es ist ein Irrglaube, dass es ohne Europa einfacher ginge.
Die verbreitete Unzufriedenheit mit Europa ist ein weiteres Pfund, mit dem die Populisten wuchern. Was genau muss getan werden, um Europa wieder attraktiver zu machen?
Wir müssen uns selbstbewusst auf das besinnen, was uns stark gemacht hat. Über Generationen haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern mehr zustande bringen als jeder für sich alleine. Wir müssen zeigen, dass diejenigen, die vorgeben, einfache Antworten zu haben, in Wahrheit gar keine haben. Wir haben im Auswärtigen Amt eine Veranstaltungsreihe gestartet, bei der wir in ganz Deutschland, aber auch europaweit mit den Bürgern ins direkte Gespräch kommen wollen. Ich habe vor kurzem in Berlin mit mehr als 400 Jugendlichen lange über Europa diskutiert und hatte den Eindruck: Da gibt es enormes Interesse und viel Gesprächsbedarf.
Präsident Erdogan droht der EU, er werde Hunderttausende Flüchtlinge – viele aus Syrien und Irak – nach Europa lassen. Hat sich die EU von Erdogan erpressbar gemacht?
Nein. Beiden Seiten nutzt die Vereinbarung, die Türkei erhält massive Hilfe für die Betreuung der fast drei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land. Bislang halten sich beide Seiten an die Abmachungen. Auch wenn das nicht allen gefallen mag: Die Türkei ist und bleibt ein Schlüsselland in einer Region, die in Flammen steht. Die Konflikte in Irak und das furchtbare Sterben in Syrien können wir ohne einen Dialog mit der Türkei nicht beenden. Gleichzeitig nehmen wir kein Blatt vor den Mund, wenn es um die innenpolitische Lage, die Massenverhaftungen, die Einschränkungen von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit geht. Ich habe das vor zwei Wochen bei meinem Besuch in Ankara sehr deutlich gemacht.
Sollte der neue US-Präsident Trump das Engagement der USA in Europa reduzieren, würde Russland seine Einflusssphäre entsprechend ausweiten. Was würde das bedeuten?
Anders als viele andere befürchte ich keinen massiven Rückzug der USA aus der Nato. Die sicherheitspolitische Community in den USA ist stark, ich denke nicht, dass eine neue US-Administration so einfach eine Vollbremsung hinlegen kann. Ich hoffe, dass die neue US-Regierung das transatlantische Verhältnis so wichtig nimmt und so engagiert fördert wie alle Vorgänger. Das transatlantische Verhältnis ist das Fundament des Westens, das wir uns unbedingt bewahren müssen. Es geht nicht nur um gemeinsame Sicherheit – es geht um unsere Vorstellungen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.
Muss Europa mehr tun für seine Sicherheit?
Wir müssen gemeinsam mehr für Sicherheit und Verteidigung tun. Wir haben dafür jetzt in der EU und auch in der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO konkrete Pläne vereinbart. Wir setzen das jetzt um. Das wird uns große Schritte voranbringen.
Brauchen wir mehr Abschreckung?
Mit der Annexion der Krim hat Russland gegen grundlegende Prinzipien der europäischen Friedensordnung verstoßen. Das war ein klarer Bruch des Völkerrechtes, auf den wir deutlich reagieren mussten. Gerade in dieser angespannten Lage halte ich es aber auch für wichtig, dass wir neben der Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeiten im Osten konventionelle Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder ganz oben auf die Agenda setzen. Ich freue mich, dass meine Initiative dazu auf große Zustimmung gestoßen ist.
Sie stellen sich am 12. Februar der Wahl zum Bundespräsidenten. Welche Reaktionen haben Sie darauf erlebt?
Die vielen positiven Reaktionen, per Mail, Brief, Facebook und SMS haben mich wirklich berührt und ja, auch überwältigt. Aber ich fühle auch deutlich, dass in diesem Vertrauensvorschuss ein Riesenmaß an Verantwortung liegt.
Welche Bedeutung hätte es, wenn nach Gustav Heinemann und Johannes Rau wieder ein Sozialdemokrat Staatsoberhaupt wird?
Für mich wäre es eine große Ehre, in der Reihe dieser großen Sozialdemokraten stehen zu können. Meine Freude auf das Amt ist groß, mein Respekt vor den Aufgaben noch größer.
Es gab Kritik an dem Hin und Her um das Präsidentenamt zwischen den Parteien. Was halten Sie von einer Direktwahl durch die Bürger?
Die Weimarer Republik krankte an dem Konkurrenzverhältnis eines direkt gewählten Reichspräsidenten mit dem vom Parlament gewählten Reichskanzler. Ich glaube, dass die Mütter und Väter unserer Verfassung aus dieser historischen Erfahrung die richtigen Schlüsse gezogen haben. Ich sehe keine Gründe, das zu verändern.