Wir müssen Verantwortung übernehmen, innenpolitisch, wie in Europa. Das war das Credo einer wirtschaftspolitischen Rede von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor Gästen der Karl-Schiller-Stiftung in Berlin.
Unsere Gesellschaft sei wie ein Haus, das nur funktioniert, wenn die Bewohner aller Etagen zufrieden sind: Auch wer oben im Penthouse wohnt, muss ein Interesse daran haben, dass die Infrastruktur gepflegt ist, sprich, die Aufzüge funktionieren. Und daran, dass auch die Bewohner im Erdgeschoss Strom und Wasser haben. Anders gesagt: „Wir alle müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die in die Hände spucken, die Tüchtigen, die Ehrlichen, nicht die Dummen sind.“ Peer Steinbrück sprach am Montagabend im Berliner Stadthaus vor allem vor Vertretern des deutschen Mittelstandes unter dem Titel: „Wirtschaftspolitik mit Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß“. Sein Credo: Die Balance, die Stabilität, die von Wirtschaftspolitik ausgehen muss, damit eine Gesellschaft funktionieren kann, das Haus solide bleibt, um im Bild zu bleiben.
Vorbild Karl Schiller
Eingeladen hatte die Karl-Schiller-Stiftung, vor der schon Frank-Walter Steinmeier im Wahlkampf 2009 einen vielbeachteten Vortrag über Arbeitsmarktpolitik gehalten hatte. Karl Schiller (1911 bis 1994) war Sozialdemokrat und in den 60er und 70er Jahren einer der populärsten Politiker. Und dass als Fachmann der scheinbar staubtrockenen Wirtschaftswissenschaften. Schiller war Wirtschafts- und Finanzminister unter Bundeskanzler Willy Brandt und maßgeblich beteiligt am Stabilitäts- und Wachstumsgesetz.
Peer Steinbrück erinnerte diese Woche daran, dass Karl Schiller einst mit einem so inhaltsschweren Thema wie der Aufwertung der D-Mark in den Wahlkampf gezogen war und plädierte dafür, auch heute die „großen wirtschaftspolitischen Themen“ öffentlich zu diskutieren. Denn, so Steinbrück, diese seien relevant für die Stabilität des Gebäudes Bundesrepublik. Der Kanzlerkandidat sprach sich vehement gegen eine marktkonforme Demokratie aus, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel praktiziere: „Im Jahr drei oder vier nach der Finanzkrise ist es immer noch nicht gelungen, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die sich verzockt haben“, sagte Steinbrück und erntete großen Applaus. Steinbrück fordert einen von Banken und nicht wie aktuell vom Steuerzahler gefüllten Fonds, der bei einem erneuten Kollaps des Finanzsektors einspringt.
„Nackter politischer Sprengstoff“
Gleichzeitig geißelte der Kanzlerkandidat die Politik Merkels in der Euro-Krise: Von krisengebeutelten Ländern nur sparen, sparen, sparen zu verlangen, sei kontraproduktiv – und gefährlich. „So werden diese Länder immer weiter unter die Wasseroberfläche gedrückt.“ Die Investitionsquote sinke, die Jugendarbeitslosigkeit steige unaufhörlich. „Im Juni 2012 hat der Europäische Rat einen Plan gegen Jugendarbeitslosigkeit angestoßen, aber was ist passiert? Nix!“ Das sei „nackter politischer Sprengstoff“.
Statt Merkels einseitigem Krisenmanagement sei ein Strukturförder- und Wachstumsprogramm nötig, eine Art „Marshallplan“, sagt Steinbrück bewusst in Anspielung auf den Aufbauplan der Alliierten für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn: „Wir sollten uns auch daran erinnern, dass andere Länder uns einmal geholfen haben, und das sogar wenige Jahre, nachdem Deutschland sie besetzt hatte.“
Vehement forderte Steinbrück „Verantwortung und Leidenschaft für ganz Europa“. Politik müsse den Bürgern klar machen, welche Verpflichtung es gäbe „dieses Europa zu stabilisieren“.
Die Balance halten
Immer wieder betonte Steinbrück vor den Gästen der Schiller-Stiftung die Wichtigkeit von Verantwortung und Stabilität, ob für Europa oder innenpolitisch. In diesem Zusammenhang erklärte er erneut, warum die Erhöhung einiger Steuern für einige Privatpersonen, die es sich durchaus leisten könnten, richtig und wichtig sind, um Infrastruktur und Bildung zu finanzieren. Damit die Balance im Land gehalten wird, in der wirtschaftspolitischen Tradition von Ludwig Erhard und Karl Schiller.