Inland

Start der Grünen Woche: „Verbraucher haben ein Recht auf Information“

Am Freitag beginnt die Verbrauchermesse „Grüne Woche“ in Berlin. Die Digitalisierung verändert auch das Verhältnis von Lebensmittel-Produzenten und -Konsumenten. Ein Interview mit den SPD-Politikerinnen Inge Blask und Sarah Ryglewski über „verletzliche Verbraucher“ und Lebensmittel aus dem Internet.
von Kai Doering · 19. Januar 2017
Die Verbraucher nicht allein lassen: Das Internet birgt Chancen, aber auch Risiken für Konsumenten.
Die Verbraucher nicht allein lassen: Das Internet birgt Chancen, aber auch Risiken für Konsumenten.

Laut dem gerade veröffentlichen „Konzernatlas“ decken in Deutschland mittlerweile vier Supermarktketten 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels ab. Was bedeutet das für die Verbraucher?

Inge Blask: Die Supermarktketten haben zurzeit eine große Marktmacht im Lebensmittelbereich. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Digitalisierung hier etwas verändern kann. Früher ist man ins Reisebüro gegangen, um ein Hotelzimmer zu buchen. Heute bieten Menschen ihre Wohnungen über Internetplattformen an. Warum sollten künftig nicht auch Lebensmittel auf diesem Wege verkauft werden? Erste Anfänge gibt es ja bereits. Aus meiner Sicht ist das eine große Chance vor allem für regionale Anbieter. Die Politik stellt das allerdings vor neue Herausforderungen.

Welche sind das?

Inge Blask: Wenn mehr Menschen Lebensmittel im Internet bestellen, bedeutet das mehr Verkehr durch Lieferfahrzeuge. Das stellt die Infrastruktur der Städte vor Herausforderungen. Ob wir da bereits die richtigen Antworten haben, bezweifle ich.

Sarah Ryglewski: Zu der ohnehin schon großen Konzentration auf vier Supermarktketten kommt noch hinzu, dass sie regional sehr unterschiedlich verteilt sind. Zwar steigt durch diese Konzentration nicht unbedingt der Preis von Lebensmitteln, aber Auswahl und Qualität können darunter leiden. Der Verbraucher muss nehmen, was ihm angeboten wird. Bestimmte Ernährungswünsche werden so möglicherweise nicht berücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Anbieter so den Erzeugern Preise und Produktionsbedingungen – etwa die Herkunft aus Massentierhaltung – diktieren können.

Generell wird die Rolle der Konsumenten durch das Internet also eher gestärkt?

Inge Blask: Durch das Internet haben Verbraucher ganz andere Möglichkeiten, Preise miteinander zu vergleichen und Produkte zu bestellen, die sie vor Ort nicht kaufen könnten. Das bringt sicher eine neue Dynamik in den Markt. Auf der anderen Seite bedeutet es für die Kunden möglicherweise mehr Staus durch Lieferverkehr und auch an den Innenstädten geht es sicher nicht spurlos vorbei, wenn die Menschen ihre Produkte hauptsächlich im Internet bestellen anstatt ins Geschäft zu gehen. Das sollte man immer im Hinterkopf haben.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisiert, dass es die Ernährungsindustrie Kunden schwer macht, sich gesund zu ernähren. Sehen Sie das auch so?

Sarah Ryglewski: Ich denke, da muss man unterscheiden. Durch eine beschränkte Auswahl macht es die Ernährungsindustrie den Kunden manchmal nicht ganz leicht. Wer nur im Supermarkt einkauft, ernährt sich aber nicht automatisch ungesund. Es gibt im Lebensmittelbereich Standards, die Produzenten einhalten müssen und zwar unabhängig vom Preis. Ein Problem ist allerdings, dass viele Menschen immer noch recht wenig über gesunde Ernährung wissen. Da könnte es die Lebensmittelindustrie ihnen einfacher machen, etwa indem Inhaltsstoffe transparenter genannt werden und nicht beispielsweise Lebensmittel als gesunde Kinder-Produkte beworben werden, die sehr viel Zucker enthalten.

Inge Blask: Die Ernährungsindustrie muss sich an die Vorgaben und Gesetze halten, die der Gesetzgeber vorgibt. Das wird auch streng kontrolliert. Wer in Deutschland ein Produkt kauft, wird darüber informiert, was darin enthalten ist. Doch wer liest alle diese häufig sehr klein geschriebenen Angaben auf der Rückseite einer Verpackung? Dies könnte klarer sein. Die SPD setzt sich deshalb seit langem für eine Lebensmittel-Ampel ein, die auf einen Blick anzeigt, ob viel Fett oder Zucker in einem Produkt enthalten ist. Die Lebensmittelindustrie setzt natürlich nur das um, was ihr vorgegeben wird.

Was kann die Politik dagegen tun? Wäre etwa eine Strafsteuer auf besonders zuckerhaltige Produkte denkbar, wie es sie in anderen Ländern gibt?

Sarah Ryglewski: Natürlich kann man Produkte teurer machen, aber ich glaube kaum, dass das die Käufer abschrecken würde. Ich finde es sinnvoller, Verbraucher aufzuklären und irreführende Werbung zu verbieten, als sie finanziell zu gängeln. Ein gutes Beispiel sind sogenannte „Kinderprodukte“ die oft sehr viel Zucker enthalten. Wenn Kinder gerne gesüßtes Fruchtmus essen, ist dagegen erstmal nichts einzuwenden. Den Eltern sollte aber bewusst sein, dass dieses eher in die Kategorie Süßigkeit statt Mahlzeit fällt.

Inge Blask: Die Einführung der Lebensmittel-Ampel wäre auf jeden Fall wichtig. Auch das geplante Tierwohl-Label ist ein guter Ansatz. Die Verbraucher haben ein Recht darauf, zu erfahren, woher das Fleisch, das sie essen, kommt und wie es produziert wurde. Nicht jeder kann und will im Bio-Markt einkaufen. Deshalb sollte es entsprechende Angebote auch im Supermarktgeben.

Das sind alles Maßnahmen, die aus Berlin oder sogar Brüssel kommen. Welche Rolle spielt der Verbraucherschutz auf Landesebene?

Inge Blask: Es stimmt: Die meisten Verbraucherschutz-Gesetze werden nicht in den Ländern gemacht. Hier werden Vorgaben umgesetzt und die Menschen informiert. Dazu brauchen wir starke Verbraucherschutz-Organisationen wie die Verbraucherzentralen. Sie beraten die Menschen und übernehme wichtige Aufgaben als Marktwächter. Diese Arbeit muss finanziert werden, am besten kontinuierlich. In Nordrhein-Westfalen haben wir deshalb Verträge geschlossen, um der Verbraucherzentrale eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen. Ich sehe aber auch den Bund in der Finanzierungsverantwortung, um gleiche Informationsbedingungen in Deutschland zu schaffen.

Bei ihrer Klausur hat die SPD-Bundestagsfraktion beschlossen, sich für die Einführung einer Musterfeststellungsklage stark zu machen. Was würde sich dadurch für Verbraucher ändern?

Sarah Ryglewski: Durch die Musterfeststellungsklage wird die rechtliche Position der Verbraucher gestärkt. In einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben werden viele durch unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbieterinnen und Anbietern z.B. bei Vertragskündigungen oder überzogenen Gebühren gleichermaßen geschädigt. Den langwierigen und möglicherweise teuren Rechtsweg muss der Verbraucher aber alleine gehen. Das scheuen die meisten Verbraucher aus nachvollziehbaren Gründen. Mit der Musterfeststellungsklage wollen wir das ändern. Hier strengen die anerkannten Verbraucherverbände eine Klage an, Betroffene können über ein Klageregister ihre Ansprüche anmelden. Die im Musterverfahren getroffenen Feststellungen werden der Entscheidung in Folgeverfahren zu Grunde gelegt, wenn sich eine Anmelderin oder ein Anmelder auf sie und die Bindungswirkung beruft.  So werden viele Menschen auf recht einfachem Wege zu ihrem Recht kommen, die bisher kaum eine Möglichkeit dazu hatten. Hinzu kommt die abschreckende Wirkung, wenn potenzielle Betrüger wissen, dass sie verklagt werden können.

Die Grünen haben mit ihrer Forderung nach der Einführung eines „Veggie-Days“ im vergangenen Bundestagswahlkampf Schiffbruch erlitten. Welche Rolle wird der Verbraucherschutz im kommenden Wahlkampf der SPD spielen?

Inge Blask: Nordrhein-Westfalen ist Verbraucherschutzland Nummer eins. Wir geben 14 Millionen Euro pro Jahr für die Verbraucherarbeit aus. Deshalb wird das Thema natürlich auch eine wichtige Rolle im Landtagswahlkampf spielen. Die SPD hat neue Ansätze entwickelt, um gerade den verletzlichen Verbraucher zu unterstützen, damit er zu seinem Recht kommt. Wer wenig Geld hat, über eine geringe Bildung verfügt oder nur wenig Sprachkenntnisse hat, braucht mehr Schutz als jemand, der sich um sein Recht im Zweifelsfall selbst kümmern kann. In Nordrhein-Westfalen unterstützen wir deshalb auch die Verbraucherarbeit im Quartier, die zu den Menschen kommt.

Sarah Ryglewski: Lange ist den meisten Menschen beim Stichwort Verbraucherschutz nicht als erstes die SPD eingefallen. Das konnten wir in den vergangenen Jahren ändern. Wir gehen das Thema breiter an als andere Parteien. In einer Welt, die den Menschen immer mehr Entscheidungen abverlangt, wollen wir dafür sorgen, dass sie sich nur zwischen guten Produkten entscheiden müssen - bei ihrer Entscheidung also keinen Schaden erleiden. Aus meiner Sicht ist das eine klassisch sozialdemokratische Aufgabe – ganz im Gegensatz zum Erziehungsansatz des Veggie-Days.

node:vw-infobox

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare