Drei Landtagswahlen brachten es an den Tag: Stärkste Kraft in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind die Nichtwähler. Wenn alle an den Landtagswahlen von Thüringen und Brandenburg beteiligten Parteien sich ehrlich machten, müssten sie also - gemessen an der Wahlbeteiligung - ihre Ergebnisse halbieren.
Das relativiert nicht das Wahlergebnis der AfD, denn sie wäre selbst dann in beiden Landtagen vertreten, wenn alle Wahlberechtigten den Weg in die Wahllokale gefunden hätten. So gesehen machten tatsächlich nur noch sechs Prozent aller Wahlberechtigten in Sachsen und Thüringen ihr Kreuz bei der SPD.
Dort von einer denkbaren „Großen“ Koalition zu sprechen (mit großem „G“, um die Größe zu unterstreichen), und damit ein Bündnis aus CDU und SPD zu meinen, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die SPD hat dort zu Größenordnungen gefunden, die bestenfalls für den Steigbügelhalter der Union reichen und eher an die untergegangene FDP erinnern, die sich zusammen mit der NPD aus beiden Landtagen verabschiedet hat. Beide sind nun Blutspender für die AfD, die auch am rechten Wählerrand von Union und SPD fischt.
Die Reaktion der verbliebenen demokratischen Parteien auf den Wählerschwund ist pure Ratlosigkeit. Sie erschöpft sich in der Aufforderung, gemeinsam an einer Verbesserung der Lage zu arbeiten. Der das sagte, hatte allerdings auch keine Idee, wie das wohl zu bewerkstelligen sei. Wie wäre es, sich mal in Schweden umzuhören, wo es gelang, die rechtskonservative Regierung nach zwei Wahlperioden abzulösen anstatt in großen Koalitionen sich jeweils immer ähnlicher zu werden.
Als Lord Ralf Dahrendorf 1983 das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ verkündete, konnte er nicht ahnen, dass die SPD dies drei Jahrzehnte später offenbar selbst in die Hand nehmen würde. Für Dahrendorf hatte die SPD angeblich ihre historische Aufgabe erfüllt, den Sozialstaat, Bildung für alle und Integration der Arbeiterschaft zu schaffen. Wenn ich es recht sehe, kann man ziemlich genau so die unbewältigten Aufgaben der Gegenwart zusammenfassen - wenn auch unter anderen Bedingungen als 1983 oder gar hundert Jahre zuvor.
Die Schwäche der SPD wird durch immer weitere große Koalitionen sicher nicht aufzuhalten sein. Im Bund im 25-Prozent-Ghetto, in Thüringen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg unter ferner liefen: Das ist Lage. Für die SPD haben große Koalitionen schon lange nichts Gutes mehr gebracht. Im Gegenteil.
Wer sich in Erinnerung ruft, dass die gegenwärtige Kanzlerin die gescheiterte schwarz-gelbe Regierung unter ihrer präsidialen Leitung zur „besten Regierung seit der Wiedervereinigung“ kürte, kann darauf warten, dass dies von ihr alsbald wohl auch für die gegenwärtige schwarz-rote Koalition ausgerufen werden könnte. Hoffentlich nicht mit dem gleichen Ergebnis für den kleineren Koalitionspartner. Ob das dann ein Weckruf für die Sozialdemokraten wäre – na hoffentlich! Vielleicht sogar einer für die müden Wahlbürger.
Weiterer Kommentar zur Wahlbeteilung: Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin
Uwe-Karsten Heye ist Journalist. Von 1998 bis 2002 war er Regierungssprecher und Staatssekretär der Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Heye ist Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“