Die wirtschaftlichen Aussichten sind heute wahrscheinlich komplizierter und ungewisser, als ich sie je zuvor in meinem Leben als erwachsener Mensch kennengelernt habe. Dies stellt politische
Entscheidungsträger, aber auch Investoren und Geschäftsleute vor überaus schwierige Herausforderungen.
Als Erstes ist festzustellen, dass sich in unserer Zeit enorme Veränderungen vollziehen. Dazu gehören die globale Integration des Handels und der Kapitalmärkte, die Ausbreitung der
Marktwirtschaft in der gesamten Welt, rapide technologische Entwicklungen, insbesondere die Informationstechnologie, die sich überall in der Welt und in allen Bereichen rasch durchsetzt und eine
starke Wachstumspolitik in vielen wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländern, insbesondere in Asien.
Eine Folge dieser Ereignisse ist die Entwicklung von China und Indien zu aussichtsreichen neuen Märkten und, was noch viel bedeutender ist, zu starken Konkurrenten, die eine Veränderung im
globalen Wettbewerb von historischem Ausmaß bewirken. Der Umfang der handelbaren Güter und Dienstleistungen, die diesen historisch veränderten Wettbewerbsbedingungen unterliegen, wird sich mit der
Zeit nicht nur auf einen großen Teil der Herstellung von Gütern, sondern auf nahezu alle Dienstleistungen erstrecken, die elektronisch übertragbar sind.
Doppelte Agenda von Handel und Regierungsprogramm
Offene Handelsmärkte bieten den Verbrauchern kostengünstigere Güter und Dienstleistungen und wirken aufgrund günstiger Ausgangsmaterialien für die Produktion inflationshemmend. Wie jedoch
Präsident Clinton, ein starker Befürworter offener Märkte, sagte, muss die Liberalisierung des Handels mit einer kraftvollen eigenen Investitionspolitik oder anderen Maßnahmen untrennbar verbunden
sein, um die erforderlichen Voraussetzungen - die die Märkte aus sich heraus nicht effektiv schaffen - zu gewährleisten, um die Produktivität zu fördern und Menschen, deren Arbeitsplätze durch den
Handel verloren gehen könnten, zu unterstützen. Die Förderung der Produktivität aller Beteiligten ist schließlich nicht nur ein Schlüsselelement für Wachstum, sondern gewährleistet auch eine breite
Teilhabe an diesem Wachstum und trägt zur Verringerung der mit dem Handel teilweise verbundenen Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit bei.
Leider ist zumindest in den Vereinigten Staaten die Politik dieser doppelten Agenda von Handel und Regierungsprogrammen sehr schwierig. Zu oft ist es so, dass diejenigen, die Handel und
Marktwirtschaft unterstützen, im Allgemeinen Regierungsprogramme zur Förderung von Produktivität und zur Unterstützung von Arbeitslosen ablehnen, und jene, die für solche einheimischen Programme
sind, sich gegen eine Liberalisierung des Handels stellen und zuweilen eine zu restriktive Regulierung des Arbeitsmarktes und anderer Bereiche fordern.
Dieser Kontext eines historischen globalen Wandels ist eine Herausforderung, aber es bieten sich auch großartige Möglichkeiten angesichts schnell wachsender Märkte in China, Indien und
anderen Ländern, eines anhaltenden raschen technologischen Fortschritts und der Vorteile, die der Handel mit starken aufstrebenden Märkten bietet. Allerdings müssen alle unsere Länder ihren eigenen
enormen politischen Herausforderungen gerecht werden, um das eigene Potenzial und diese zusätzlichen Möglichkeiten zu nutzen. Werden diese Herausforderungen nicht gemeistert, kann das zu
ernsthaften oder gar einschneidenden Schwierigkeiten führen.
Hamilton-Projekt: Wachstum, Teilhabe am Wachstum und Sicherheit
Vor anderthalb Jahren hat eine Gruppe von uns - Finanzexperten und führende politische Analysten - ein mehrjähriges Projekt in Angriff genommen, um eine breite Strategie und einige darauf
aufbauende spezifische politische Maßnahmen für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes zu entwerfen. Wir nannten unser Unterfangen das Hamilton-Projekt, nach Alexander Hamilton, einem unserer
Gründerväter und dem ersten Finanzminister unseres Landes.
Wir argumentierten, dass Wirtschaftspolitik drei Ziele haben müsse: Wachstum, Teilhabe am Wachstum auf breiter Basis und ein angemessenes Maß an Sicherheit, die so strukturiert sein muss,
dass der Anreiz zur Arbeit nicht untergraben wird. Jedes der drei Ziele stellt einen Wert für sich dar, und unseres Erachtens können sie sich gegenseitig ergänzen. Konkret können eine Teilhabe am
Wachstum auf breiter Basis und ein angemessener Umfang an Sicherheit Wachstum fördern, indem der breiten Mehrheit der Bevölkerung mehr Ressourcen für den Zugang zu Bildung, gesundheitlicher
Betreuung und anderen Faktoren geboten werden, die zur Produktivität beitragen. Denn die Arbeitnehmer sind so in einer besseren Position, um höhere Risiken einzugehen - wie bei Arbeitswechsel oder
Ausscheiden aus der Arbeit zu Weiterbildungszwecken. Die Liberalisierung von Handel und die Marktwirtschaft - das ist äußerst wichtig - finden nur öffentliche und daher politische Unterstützung,
wenn die große Mehrheit der Menschen das Gefühl haben, dass sie von dieser Politik profitieren.
"Forum Wirtschaft" der SPD
Unter der Leitung von Finanzminister Peer Steinbrück hat die SPD das "Forum Wirtschaft" gegündet. Ziel ist ein breit angelegter Dialog zwischen Wirtschaftsvertretern, anderen Fachleuten und
der SPD über die Strategien einer zukunfsfähigen Wirtschaftspolitik. Die Auftaktveranstaltung stand unter dem Titel "Solide Finanzen und dynamisches Wachstum - sozialdemokratische
Wirtschaftspolitik für die Zukunft unseres Landes". Gastredner war der ehemalige US-Finanzminister Robert Rubin.
*Robert Rubin war von 1995 bis 1999 Finanzminister von US-Präsident Bill Clinton.
Die Rede im Wortlaut:
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