SPDqueer Bundesvorstand wünscht sich ein politisches Update
Mit den abgesagten Veranstaltungen des Pride Month in Coronazeiten schwinden auch eure Chancen, euch als SPDqueer vor Ort sichtbar zu machen. Wie nötig ist es heute noch, auf die Belange queerer Menschen aufmerksam zu machen?
Strotzer: Wir haben das Gefühl, dass Deutschland leider immer noch sehr konservativ tickt. Das merkt man deutlich an den letzten Bundestagsabstimmungen. Und auch wir als Arbeitsgemeinschaft müssen sehr dafür kämpfen, Themen zu platzieren und erst recht, dass aus diesen anschließend auch Gesetze werden. Nehmen wir als Beispiel das Transsexuellengesetz. Damals war es ein relativ fortschrittliches Gesetz, das es Transmenschen ermöglichte, auf legalem Weg ihre gefühlte Geschlechtsidentität anpassen lassen zu können. Aber natürlich hat sich die Sicht auf Transsexualität inzwischen geändert, auch medizinisch. Die WHO etwa listet sie nicht mehr als psychische Erkrankung. Das impliziert natürlich viele Änderungen, die notwendig sind. Der Begutachtungszwang und die Fremdbestimmung, die das Transsexuellengesetz mit sich bringt, sind inzwischen einfach überholt. Aber an diesem Missstand etwas zu verbessern, das ist mit der Union nicht möglich. Dass die Union sich bei diesem Thema so verschließt, fällt natürlich auch auf die SPD zurück, die das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das eine Verbesserung versprochen hätte, mit ablehnen mussten.
Ebhardt: Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht das Transsexuellengesetz in Teilen als verfassungswidrig eingestuft hat. Dass es daraufhin nicht abgeändert wurde, ist in hohem Maße bitter und enttäuschend.
Fühlt ihr euch in diesem Punkt von der eigenen Partei im Stich gelassen?
Strotzer: Wenn man in einer Koalition bestimmte Themen durchbringen will, setzt man politisches Kapital ein. Da geht es dann auch darum, was politisch mehr Gewicht hat und mehr Menschen betrifft, und darauf legt die Partei dann den Fokus. Mit dem queerpolitischen Sprecher Karl-Heinz Brunner stehen wir in engem Kontakt und bekommen deswegen immer wieder mit, wie herausfordernd es ist, mit der Union derart sensible Themen zu behandeln.
Ebhardt: Was mir gefehlt hat, ist dass in diesem ganzen Prozess, in dem der Gesetzesentwurf zur sexuellen Selbstbestimmung entstand, wir als SPDqueer nicht einmal mit an den Tisch gesetzt wurden. Es wurde sich schon mit Vereinen und Verbänden getroffen, die sich für Transthemen einsetzen, aber eben nicht mit der SPDqueer. Da würde ich mir wünschen, dass die SPD mehr auf dem Schirm hat, dass es auch eigene Expert*innen in der Partei gibt.
Wenn ihr auf die kommenden Bundestagswahlen schaut, habt ihr Hoffnung, dass sich ein neues Bündnis bildet, das die Ziele der LSBTI* Community besser unterstützen kann?
Strotzer: Unser Motto für die diesjährige CSD-Saison ist „Zeit für ein Update“. Eine unserer Forderungen ist, dass es endlich ein progressives Bündnis auf Bundesebene gibt, mit dem wir diese Themen auch am Ende durchbekommen. Mit Parteien, die einen größeren Wert auf Bürgerrechtsthemen legen. Das sind vor allem die SPD, die Grünen, die Linken, aber in Teilen auch die FDP. Je nachdem, welche Farbenspiele sich nach der Wahl ergeben, wären wir natürlich froh, wenn sich am Ende ein Bündnis bilden würde, was queerpolitische Themen durchbringt. Wenn wir als SPD in die Regierung gehen sollten, sagen wir als SPDqueer auf jeden Fall: Ohne die Union!
Welche Themen würdet ihr als neue Doppelspitze denn gerne in ein solches Bündnis einfließen lassen?
Ebhardt: Abgesehen von dem Kampf um das Selbstbestimmungsgesetz geht es bei uns auch um das Abstammungsrecht. Es ist einfach ungerecht, dass wenn zwei Mütter ein Kind großziehen nur die leibliche Mutter rechtlich anerkannt ist und nur durch Adoption die andere Mutter auch auf dem Papier die Mutter dieses Kindes sein kann.
Strotzer: Diese Forderung ist eingebettet in eine grundlegende Reform des Familienrechts, die endlich her muss. Bei dieser soll es auch darum gehen, dass mehr als zwei Menschen ein Kind großziehen dürfen. Im Prinzip fordern wir damit Anpassungen an die Realität, denn es gibt jetzt schon Regenbogenfamilien, in denen die verschiedensten Kombinationen gelebt werden, in denen Kinder aufwachsen. Diese Familien müssen rechtlich abgesichert sein. Wir begrüßen es sehr, dass die Forderung danach auch im Zukunftsprogramm der SPD steht.
Und es braucht endlich einen nationalen Aktionsplan gegen LSBTI* Feindlichkeit. Wir brauchen eine Strategie auf Bundesebene, wie Straftaten in diese Richtung statistisch erfasst werden und wie Polizei und Staatsanwaltschaft darauf reagiert.
Ebhardt: Weiterhin muss das Blutspendeverbot für Männer, die mit Männern schlafen, gekippt werden. Hier muss sich neben einigen Parteien auch die Ärztekammer bewegen.
Strotzer: Richtig, und natürlich die Ergänzung des Artikel 3 im Grundgesetz um „Sexuelle Identität“. Alles mit der Union leider nicht machbar.
Habt ihr innerhalb eurer Arbeitsgemeinschaft SPDqueer schon jetzt Mitglieder, die aufgrund ihrer queeren Identität politischer Hetze ausgesetzt sind?
Strotzer: Gerade in den Sozialen Medien erleben unsere Mitglieder immer wieder queerfeindliche Angriffe, die zum Teil sehr belastend sind. Viele von uns erleben auch immer wieder Anfeindungen, wenn wir in der Öffentlichkeit als queere Menschen sichtbar sind.
Zum Abschluss: Gibt es trotz der Corona-Beschränkungen einen Termin diesen Sommer, auf den ihr euch besonders freut?
Strotzer: Also ein Highlight durfte ich schon jetzt erleben und das war die Podiumsdiskussion mit Klaus Wowereit zum zwanzigjährigen Jubiläum seines politischen Outings.
Ebhardt: Und wir beide freuen uns auf den CSD in Berlin am 24. Juli!
Strotzer: Das ist eigentlich die schönste Seite an unserer Arbeit, nach Corona mal wieder einen Pride mitzubekommen, mit dem ganzen Feeling.
Ebhardt: Und am Tag vorher wird unsere erste physische Bundesvorstandssitzung stattfinden, auch das wird natürlich spannend. Außerdem bin ich auch bei der Rainbow Rose im Vorstand, unserem europäischen Netzwerk, da werden wir etwa auf der Menschenrechtskonferenz beim EuroPride in Kopenhagen dabei sein. Ich freue mich auf den guten Austausch.
Strotzer: Das macht uns auch so besonders, das wir neben den Jusos eine der wenigen SPD-nahen Organisationen mit europäischem Dachverband sind.