SPD-Wertekonferenz: Mit mehr sozialer Gerechtigkeit Vertrauen gewinnen
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Was sind Staaten anderes als Räuberbanden, wenn es in ihnen keine Gerechtigkeit gibt? Es ist ein Zitat von Augustinus, das SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag an den Anfang seiner Rede im Willy-Brandt-Haus stellt. Die „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ sei die erste von mehreren geplanten Veranstaltungen, die sich um alte und neue Gerechtigkeitsfragen an die Sozialdemokratie beschäftige, betont Gabriel. Und das habe einen Grund: Für die SPD seien Gerechtigkeitsfragen immer auch Glaubwürdigkeitsfragen. Und wenn laut Umfrage nur noch 32 Prozent aller Bürger der SPD Kompetenz bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit zutraue, dann sei das ein Alarmsignal, erklärt er.
Soziale Gerechtigkeit gibt Richtung vor
Nicht nur in Deutschland sei die Sozialdemokratie in der Krise, auch in vielen europäischen Nachbarländern würden Durchhalteparolen nicht mehr weiterhelfen. „Wir brauchen klarere Analysen unserer Zeit“, sagt Gabriel. Ob Rente mit 45, Mietpreisbremse, Energiewende, Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen oder die Integration von einer Million Flüchtlingen – das sozialdemokratische Programm präge die Bundesregierung, erklärt der Vizekanzler. Doch wer kleine Schritte gehe und pragmatische Wege beschreite, kann die Richtung und den engagierten Idealismus junger Menschen aus dem Auge verlieren“, gibt der Partei-Chef selbstkritisch zu bedenken. „Begreifen wir noch den Gerechtigkeitshunger unserer Zeit?“, fragt er.
Schulen als Leuchttürme
Es sei ein Fehler gewesen, hinzunehmen, dass Kapitalerträge geringer besteuert würden als Erträge aus Arbeit. „Wie konnte es uns passieren, Arbeit zu bestrafen“, räumt er ein und kündigt für den Fall einer Regierungsbeteiligung in der nächsten Legislaturperiode an, die Abgeltungssteuer abzuschaffen. Und mit Blick auf die ungleichen Bildungschancen in unserem Land plädiert Gabriel für mehr Investitionen in Bildung. Nicht Banken und Bürohäuser sollten die Kathedralen des 21. Jahrhunderts sein, sondern Schulen müssten zu Leuchttürmen in ihren Stadtteilen werden.
Echte Chancengleichheit ist auch für Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung existiere de facto nicht, betont sie in der anschließenden Diskussion. „Wir müssen Verteilungschancen gerechter gestalten.“
Mehr wirtschaftliche Umverteilung
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), fasst die wachsende Ungleichheit und mangelnde Chancengleichheit in Deutschland folgendermaßen zusammen: Arm bleibt arm und reich bleibt reich, erklärt er. In kaum einem anderen Industrieland herrsche eine so hohe Ungleichheit wie in Deutschland, so Fratzscher. Die hohen Sozialausgaben seien ein Beleg dafür, dass immer mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen und damit vom Staat abhängig seien. Die soziale Marktwirtschaft existiert so nicht mehr, kritisiert er. Der Ökonom Michael Hüther bestreitet das. Im Vergleich zu andren Ländern stünde Deutschland gut da. Hüther warnt vor einer Politik der massiven Verunsicherung, wie sie zur Zeit in der Diskussion um die Riesterrente sichtbar werde. Die sei nicht gescheitert, vielmehr gebe es Verbesserungspotenzial, erklärt er. „Unsere soziale Marktwirtschaft ist leistungsfähig“ so Hüther.
Gerechtigkeit als Schlüssel
Und IG Metall-Vize Christine Benner wirbt um Unterstützung im aktuellen Tarifstreit in der Metallindustrie und fordert mehr Gerechtigkeit für Beschäftigte. Auch hier gehe es um die Umverteilung von Vermögen. Immer mehr Menschen hätten Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg. Ihr Appell an die SPD: „Wir dürfen die Mitte der Gesellschaft nicht verlieren.“
Im Kampf um die demokratische Mitte sei Gerechtigkeit der Schlüssel, ist Gabriel sicher. Dafür müsse die SPD Vertrauen zurückgewinnen. Kein leichter Weg, wie sich in der Diskussion mit SPD-Neumitglied Susanne Neumann zeigt. Die Putzfrau und Betriebsrätin will die Agenda 2010 umkehren. Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat, fragt Neumann mit Blick auf das Befristungsgesetz.
Gabriel weiß, dass es beim Thema Gerechtigkeit um mehr geht als um den Gewinn der nächsten Wahl. Es gehe um einen Gestaltungsanspruch, sagt er. Gabriel: „Wir sind zu viel Staat und zu wenig soziale Bewegung.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.