SPD-Vize Serpil Midyatli: „Ich glaube der AfD kein Wort“
In der vergangenen Woche hat der rassistisch motivierte Anschlag in Hanau neun Menschen das Leben gekostet. Was waren Ihre Gedanken als Sie von den Hintergründen erfahren haben?
Ich war zunächst geschockt als ich gehört habe, was passiert ist. Ich habe selbst Verwandte in Hanau und habe sofort dort angerufen, um zu erfahren, ob es ihnen gut geht. Besonders traurig bin ich, dass es ja bei weitem nicht das erste Mal ist, dass so etwas passiert. Wir sehen hier wieder: Es verschieben sich Grenzen. Aus verrohter Sprache wird Hass, und aus Hass werden reale Taten. Wenn die AfD verbal weiter so wütet und wüten darf, wird Hanau wohl leider auch nicht die letzte Tat dieser Art bleiben. Betroffen sind übrigens nicht nur Migranten, sondern auch Menschen mit Behinderungen oder diejenigen, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter oder für Geflüchtete einsetzen wie der CDU-Politiker Walter Lübcke.
Nach der Hamburg-Wahl hat die AfD angekündigt, „verbal abrüsten“ zu wollen. Ist das glaubhaft?
Nein, ich glaube der AfD kein Wort. Noch nach ihrem Parteitag im vergangenen Jahr wurde behauptet, Björn Höcke sei „die Mitte der Partei“. Er ist einer der schlimmsten Scharfmacher. Wenn die AfD ihre Ankündigung ernst meinen würde, müsste sie ihn als ersten aus der Partei schmeißen. Nach dem Dämpfer der Wahl in Hamburg sieht die AfD die Felle davonschwimmen und gibt deshalb den Wolf im Schafspelz. Davon dürfen wir uns nicht einlullen lassen.
Gerade von Seiten der AfD wird versucht, den Hanauer Anschlag einem „irren Einzeltäter“ anzulasten. Wie kommt das in der migrantischen Community an?
Diese Reaktion war erwartbar und macht mich rasend. Damit versucht die AfD nicht nur, sich von jeglicher Verantwortung reinzuwaschen, sondern leugnet auch das rassistische Muster, das hinter dem Anschlag steckt. Deshalb finde ich es auch so wichtig darauf hinzuweisen, dass es eine Verbindung zwischen dem Mord an Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle und jetzt der Tat in Hanau gibt. Das Problem heißt Rassismus! Die Erwartungshaltung der migrantischen Community gerade an den Staat ist deshalb auch sehr hoch. Da müssen Antworten her, wie er der Gefahr von rechts begegnen und Ausgrenzung und Diskriminierung bekämpfen will. Der Staat hat eine Pflicht zu handeln und muss klar sagen, auf welcher Seite er steht. Es gibt keine Ausreden mehr. Wir haben im SPD-Präsidium deshalb einen Maßnahmenkatalog besprochen, was wir konkret in der Regierung anpacken werden.
Welchen Einfluss hat der alltägliche Rassismus dabei?
Einen großen. Die Ängste der Menschen mit Migrationsgeschichte kommen vor allem daher, dass sie in ihrer Arbeitswelt und ihrem Alltag regelmäßig Ausgrenzung und Anfeindungen erleben. Öffentlich sprechen wir darüber inzwischen seltener als früher, aber in geschützten Räumen kommen zum Teil schon sehr krasse Geschichten zur Sprache. Jeder, der einen Migrationshintergrund hat, hat bereits Racial Profiling und andere Formen der Diskriminierung erlebt, auch wenn das die Mehrheitsgesellschaft oft nicht wahrhaben will.
Nach Hanau haben SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Sie gefordert, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Was würde sich dadurch ändern?
Eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz wäre zunächst mal ein klares Zeichen, dass Deutschland sie als Feinde der Demokratie anerkennen. Dazu gehört für mich auch, aufzudecken, wer sich in der AfD engagiert und für sie arbeitet. Einige Landtags- und Bundestagsabgeordnete beschäftigen z.B. verurteilte Neonazis. Mich wundert ja, dass es bisher keinen Aufschrei gegeben hat, dass sich Polizisten in der AfD engagieren, genauso wie Lehrer oder Richter. Sie alle verkörpern den Staat, auf den wir uns verlassen können müssen. Würde die AfD beobachtet, würde sie auch im Verfassungsschutzbericht auftauchen. Das wäre ein deutliches Zeichen auch an die migrantischen Communities, dass das Problem erkannt wurde und wir sie schützen.
Wie bewerten Sie die Reaktionen aus der SPD auf Hanau?
Es ist eine Wohltat zu sehen, wie klar wir in dieser Frage aufgestellt sind. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben aus meiner Sicht genau den richtigen Ton gefunden. Auch was Lars Klingbeil gesagt und geschrieben hat, fand ich sehr gut. Sein spontaner Aufruf zu einer Mahnwache am Brandenburger Tor am Abend des Hanauer Anschlags war genau die richtige Antwort. Diese klare Haltung macht mir Mut. Aber natürlich braucht es jetzt auch konkrete Maßnahmen. Ganz wichtig hier: Das Demokratiefördergesetz muss endlich beschlossen werden, um die Gesellschaft zu stärken. Es braucht mehr Geld für politische Bildung!
Was Sie im Kampf gegen rechts vom Staat erwarten, haben Sie bereits gesagt. Was muss die Gesellschaft tun?
Es ist ganz wichtig, hinzusehen und einzuschreiten, wenn Menschen diskriminiert werden, ob auf der Arbeit, in der Schule oder auf dem Wohnungsmarkt. Niemand sollte rassistische Äußerungen einfach stehen lassen, sondern Partei ergreifen. Das ist für mich Zivilcourage im besten Sinne. Aber auch die migrantischen Communities sind gefragt. Sie dürfen sich nicht zurückziehen, sondern müssen aktiv werden und bleiben, denn es ist auch ihr Land, um das es geht. Generell gilt: Überall dort, wo sich Menschen kennenlernen, werden Vorurteile abgebaut. Deshalb lautet mein Appell auch an die Ortsvereine der SPD: Geht raus, sprecht mit den Menschen und lernt eure Nachbarn kennen! Viele Migrantinnen und Migranten warten nur darauf.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.