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SPD-Politiker Lindh: „Äußerungen von Clemens Tönnies sind eindeutig rassistisch“

Mit Äußerungen über Menschen in Afrika hat Schalke-Boss Clemens Tönnies für Empörung gesorgt. Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh zeigen sie, wie tiefsitzend Alltagsrassismus und koloniale Vorurteile sind.
von Kai Doering · 8. August 2019
Am wichtigsten ist Aufklärung über die eigene Geschichte. SPD-Politiker Helge Lindh kämpft gegen Rassimus und koloniale Vorurteile.
Am wichtigsten ist Aufklärung über die eigene Geschichte. SPD-Politiker Helge Lindh kämpft gegen Rassimus und koloniale Vorurteile.

Der Aufsichtsratsvorsitzende des Fußballvereins Schalke 04 und Fleischfabrikant Clemens Tönnies steht wegen Äußerungen zu Menschen in Afrika in der Kritik. Wie bewerten Sie seine Aussagen?

Die Äußerungen von Clemens Tönnies sind eindeutig und unzweifelhaft rassistisch. Sie sind nicht nur diskriminierend, sondern stehen in der Tradition des Kolonialismus, indem sie dumpfeste anti-afrikanische Vorurteile bedienen.

Neben Kritik gibt es auch Zustimmung zum Inhalt von Tönnies‘ Aussagen – etwa vom Afrika-Beauftragen der Bundesregierung Günter Nooke. Wie erklären Sie sich das?

Günter Nooke hat gesagt, Tönnies‘ Ton sei falsch gewesen, aber er habe reale Probleme benannt. Das ist Unsinn und bar jeder Sachkenntnis. Es knüpft aber an fragwürdige Äußerungen an, die er als Afrika-Beauftragter in der Vergangenheit gemacht hat. Günter Nooke relativiert damit nicht nur rassistische Äußerungen anderer, sondern schürt selbst Vorurteile gegenüber Afrika. Mit der Realität in den afrikanischen Ländern hat es jedenfalls nichts zu tun. Deshalb frage ich mich schon länger, ob Günter Nooke für die Aufgabe als Afrika-Beauftragter geeignet ist. Er müsste eigentlich gegen Vorurteile ankämpfen und sie nicht noch entschuldigen oder gar bestätigen. Wer das Amt nutzt, eigene Vorurteile zu pflegen oder davon therapiert zu werden, erfüllt seine Aufgabe nicht richtig.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, viele würden wie Tönnies denken, es nur nicht aussprechen. Wie verbreitet sind rassistische Vorurteile in Deutschland?

Als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für die Aufarbeitung des Kolonialismus beschäftige ich mich schon länger mit diesen Fragen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass es einen tiefsitzenden Alltagsrassismus in Deutschland gibt, den viele gar nicht als solchen wahrnehmen. Vorurteilsmuster, die es im Umgang mit Afrika seit Jahrzehnten, ja, seit Jahrhunderten, gibt, sind nie kritisch aufgearbeitet worden. Ab und an brechen sie dann, wie jetzt bei Herrn Tönnies, unreflektiert hervor. Dass das zurzeit häufiger vorkommt, hat sicher auch damit zu tun, dass die Menschen immer mehr das Gefühl bekommen, „endlich wieder Dinge sagen zu dürfen“.

Was müsste gegen diese tiefsitzenden Vorurteile getan werden?

Ich denke, am wichtigsten ist Aufklärung über die eigene Geschichte. Wer weiß, was für eine bittere und von Vorurteilen geprägte Kolonialgeschichte Deutschland hat, wird keine Aussagen wie Herr Tönnies machen. Dabei kommt es auf die Bildung in der Schule an. Wir sollten aber auch den Umstand nutzen, dass viele Menschen, die in Deutschland leben, eine afrikanische Herkunft haben. Ihnen sollten wir viel stärker zuhören, wenn sie von ihren Erfahrungen im Alltag und aus ihrer Familiengeschichte berichten. Wer das macht, dem wird es nicht allein unendlich schwer fallen, den kruden Pseudothesen des Herrn Tönnies aus dem Herzen des kolonialen Rassendenkens auch nur irgendetwas abzugewinnen, er wird sie als das benennen, was sie sind: dumm, rassistisch und erbärmlich.

Sie fordern schon länger eine „ehrliche Debatte über Neokolonialismus“. Wie soll die aussehen?

Zum Teil gibt es die Debatte ja schon, wenn wir etwa darüber diskutieren, was im neu entstehenden Humboldt-Forum in Berlin ausgestellt werden kann und soll. Diese Ansätze sollten wir nutzen, um über das gesamte Problem zu sprechen. Wir müssen darüber reden, wie sich koloniale Denkmuster bis heute erhalten haben und wie wir sie – bewusst und unbewusst – fortschreiben. Überwunden werden können sie aus meiner Sicht am besten, wenn wir uns mit betroffenen Menschen der kolonialen Unterdrückung und Erfahrung zusammensetzen und ohne jede Bevormundung diskutieren. Ich bin mir sicher, dass wir da eine Menge lernen können.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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