SPD-Parteitag: Knappe Mehrheit für Koalitionsgespräche
Kontroverse und intensive Debatte, aber Fairplay: So lässt sich in Kürze die Stimmung auf dem Sonderparteitag der SPD in Bonn zusammenfassen. Dabei stand viel auf dem Spiel: Die Entscheidung, ob die SPD in Koalitionsverhandlung geht oder nicht. In rund 100 Wortmeldungen standen sich Gegner und Befürworter einer erneuten großen Koalition gegenüber, auch wenn es auf dem heutigen Parteitag zunächst nur um das Ja zu weiteren Koalitionsverhandlungen ging.
Jusos plädieren für Nein
Während die einen die Sondierungsergebnisse als gute Grundlage für weitere Gespräche mit CDU/CSU werten, warnten andere davor, nur aus Angst vor Neuwahlen in eine neue große Koalition zu gehen. Am Ende stimmte eine knappe Mehrheit der rund 600 Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
Gleich zu Beginn setzt Juso-Chef Kevin Kühnert Maßstäbe mit seiner Rede gegen die Neuauflage der Groko: „Egal wie wir uns entscheiden: Es wird wehtun“, sagt der 28-jährige ruhig, um dann festzustellen: „Mit Angela Merkel sind die Gemeinsamkeiten aufgebraucht.“ Die Sondierungsergebnisse kritisiert er hingegen nicht. „Unsere Leute haben gut verhandelt“, betont er. Doch darum gehe es ihm nicht. Es gehe ihm um die Vertrauenskrise innerhalb der SPD.
Er frage sich, ob dies eine belastbare Grundlage für eine erneute Koalition sei. Um aus ihrer Krise zu kommen, brauche die Partei „Vertrauensbeweise und nicht weitere Spiegelstriche“. Zum Schluss wirbt Kevin Kühnert unter großem Applaus für ein Nein zu Koalitionsgesprächen. Mit Bezug auf Alexander Dobrindts „Zwergenaufstand“ wirbt er für einen Neuaufbruch in der Opposition: „Heute einmal ein Zwerg sein, um morgen vielleicht wieder Riesen sein zu können.“
Nahles wirbt kämpferisch um Zustimmung
Seine Vorgängerin im Amt Johanna Uekermann unterstützt die Position: Zwar sehe sie Erfolge in den Sondierungsergebnissen, doch sei für sie klar, dass eine große Koalition immer eine Ausnahme sein muss und eine politische Gestaltung mit der Union nicht möglich ist. Die Sorge, dass die SPD aus einer erneuten Koalition mit der Union geschwächt hervorgeht, treibt vor allem die Jungen in der SPD um.
Skeptisch geben sich auch viele Befürworter: So stimmt Generalsekretärin Luisa Boos aus Baden-Württemberg den Koalitionsverhandlungen mit der Union zwar zu, sagt jedoch, dass die SPD bei einer Begrenzung auf 1.000 Personen beim Familiennachzug nicht mitmachen dürfe. Und auch der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach plädiert für weitere Verhandlungen, auch wenn für ihn eine große Koalition „ein politischer Alptraum“ sei. Auch Parteivize Manuela Schwesig wirbt bei den Delegierten für Gespräche und führt als Beispiel die erzielten Sondierungsergebnisse in der Familienpolitik an: „Das ist ein Paket, mit dem unsere Leute tatsächlich etwas bewegen könnten - vor allem für die Kinder, die keine Lobby haben“, sagt sie.
Knappes Votum für Verhandlungen
Sie habe keine Angst vor Neuwahlen, sagt Fraktionschefin Andrea Nahles. Aber sie habe Angst vor den Fragen der Bürger. Wenn die SPD nur dann in die Regierung gehe, wenn sie alle ihre Vorhaben zu hundert Prozent durchsetzen könne, mache sie das nicht glaubwürdig. In ihrer kämpferischen Rede verspricht Nahles, die Koalitionsverhandlungen ernst zu nehmen und auch die Bürgerversicherung und das Abschaffen befristeter Arbeitsverträge nochmals auf die Agenda zu rufen. „Wir werden verhandeln, bis es quietscht“, ruft sie.
Nach den Koalitionsverhandlungen werden die Mitglieder über einen Eintritt in eine große Koalition abstimmen. Dies war auch schon 2013 der Fall. Nun hat zunächst der Parteitag in Bonn entschieden. Mit 362 Ja-Stimmen zu 279 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung haben die Delegierten für weitere Verhandlungen mit der Union gestimmt. Schon vor dem Parteitag hatte Juso-Chef Kühnert betont, dass – unabhängig vom Resultat auf dem Parteitag – Menschen von der SPD enttäuscht sein werden.
Fakt ist aber auch, dass die SPD am Sonntag bewiesen hat, dass sie debattieren kann. Der Parteivorsitzende Martin Schulz lobt seine Partei am Ende des Tages für diese konstruktive Diskussion. Eine gute Voraussetzung für die Arbeit an einer Erneuerung der SPD. Denn auch das wird am heutigen Sonntag klar: Die SPD ist auf einem guten Weg, sich zu erneuern, unabhängig davon, ob sie in die Regierung oder in die Opposition gehen wird.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.