Inland

SPD-naher Verein D64 trommelt gegen geplante VDS

Mit einem Musterantrag gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung (VDS) will der SPD-nahe netzpolitische Verein D64 die Einführung eines neuen Gesetzes zur Speicherung von Kommunikationsdaten verhindern. Warum, das erklärt der Co-Vorsitzende Nico Lumma im Interview.
von Marisa Strobel · 3. Mai 2015
„Jeder kann durch die Auswertung von Vorratsdaten plötzlich unverschuldet in einem Raster landen“, warnt der Netzexperte und Blogger Nico Lumma.
„Jeder kann durch die Auswertung von Vorratsdaten plötzlich unverschuldet in einem Raster landen“, warnt der Netzexperte und Blogger Nico Lumma.

Bundesjustizminister Heiko Maas hatte die Vorratsdatenspeicherung noch vor einigen Monaten komplett abgelehnt. Jetzt hat er einen Kompromiss vorgelegt. Wie ist Ihr Eindruck?

Ich warte noch auf den fertigen Gesetzestext. Insgesamt ist es aber eine grundsätzliche Entscheidung: Wollen wir generell alle Bürger des Landes unter Verdacht stellen oder müssen wir uns nicht eher überlegen, wie wir die Sicherheit im digitalen Raum sinnvoll gewährleisten und entsprechende Maßnahmen ergreifen können? Die Vorratsdatenspeicherung – das haben wir in der Zeit, in der sie eingeführt war, und in der Zeit danach gesehen – hat bei der Bekämpfung von Terrorismus und Verbrechen im digitalen Raum keine nennenswerten Verbesserungen gebracht. Insofern lehne ich die Vorratsdatenspeicherung ab. Sie ist einfach unverhältnismäßig. 

SPD-Chef Sigmar Gabriel, ein Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, argumentiert, diese hätte Morde der NSU verhindern können.

Es werden gern Beispiele herangeführt, die man schwer belegen, aber auch sehr schwer widerlegen kann. Im Fall NSU lagen der Polizei 32 Millionen Daten vor, dennoch konnte das Trio ungestört weitermorden. Und es ist doch so: Jemand, der etwas Kriminelles vorhat oder gar einen terroristischen Anschlag plant, wird seine Kommunikation verschlüsseln. Die Anschläge in Paris haben gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich nichts gebracht hat. Die Attentäter wurden überwacht, sie haben kommuniziert und dennoch konnte der Anschlag auf Charlie Hebdo nicht verhindert werden. Statt Hysterie zu schüren, sollten wir den Grundwert der Freiheit hochhalten. Wir können doch nicht ein Land wollen, in dem man sich überlegen muss, wie man kommuniziert, um nicht unschuldig in ein Raster zu geraten.

Warum setzen sich die Befürworter so vehement für eine Einführung eines solchen Gesetzes ein?

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein ideologisches Thema. Irgendwann wurde behauptet, mit ihr könne man das Thema Sicherheit in den Griff kriegen – ein Trugschluss. Dennoch steht das Thema seitdem für eine Verbesserung der Sicherheit im digitalen Raum. Stattdessen auf allen Ebenen – bei der Polizei, beim Bundeskriminalamt, beim Verfassungsschutz – Ermittler für den digitalen Bereich einzustellen, wäre wesentlich komplizierter. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben wir jetzt ein Blendwerk, mit dem die Innenpolitiker behaupten können, sie hätten etwas für die innere Sicherheit getan. Dass die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nichts bringen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Soweit wird bei populistischen Forderungen aber nicht gedacht. 

Die neuen Leitlinien sehen gegenüber dem früheren Gesetz, das 2010 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden war, neben kürzeren Speicherfristen auch strengere Auflagen vor. „Die betroffenen Personen sind grundsätzlich vor dem Abruf der Daten zu benachrichtigen“, heißt es in dem Papier. 

Das ist doch totaler Quatsch. Die Informationspflicht gegenüber dem Bürger wird aufgrund der Dringlichkeit im Ermittlungsverfahren außer Kraft gesetzt werden. Informiert werden wird nur, wer ins Raster gefallen ist, ohne dort hinzugehören. Und das ist genau der Punkt: Jeder kann durch die Auswertung von Vorratsdaten plötzlich unverschuldet in einem Raster landen. Bei all den Überlegungen geht es doch darum, die Ermittlungsbehörden in die Lage zu versetzen, digital ermitteln zu können. Das heißt aber nicht, dass wir der Einfachheit halber alle Daten vorhalten sollten. Die Ermittlungsbehörden haben dann loszulegen, wenn ein Verdachtsfall vorliegt – und dann können sie auch über einen Richterbeschluss auf die Daten der Verdächtigen zugreifen.

Der Verein D64, dessen Co-Vorsitzender Sie sind, hat Mitte April eine Kampagne gegen die VDS gestartet. Wie sieht diese konkret aus? 

Wir wollen die SPD-Gliederungen dabei unterstützen, Anträge gegen die Vorratsdatenspeicherung zu formulieren, und haben dazu einen Musterantrag auf unsere Webseite gestellt. Mittlerweile haben etwa 50 Gliederungen einen solchen Antrag ausgefüllt, unter anderem der mitgliederstärkste Unterbezirk Dortmund. Wir wollen der Partei deutlich machen, dass wir einen Parteitagsbeschluss von 2011 – also noch vor der NSA-Debatte und den Enthüllungen von Edward Snowden – nicht immer noch als gesetzt ansehen können. Wir können nicht einfach im Schnellverfahren die Vorratsdatenspeicherung durch das Parlament bringen, sondern müssen zumindest auf dem Parteikonvent am 20. Juni noch einmal die Debatte innerhalb der Partei führen, wie wir mit den sozialdemokratischen Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Solidarität im digitalen Zeitalter umgehen wollen.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, bei der Partei Gehör zu finden?

Es besteht eine sehr starke Motivation, dieses Thema ohne Diskussion durchzupeitschen. Die 50 eingegangenen Anträge zeigen aber, dass Diskussionsbedarf vorhanden ist. Und wenn eine Partei Bauchschmerzen bei einem Thema hat, muss sie den Parteikonvent dazu nutzen, darüber zu diskutieren – zumal es keine Grundlage mehr für ein solches Gesetz gibt: Im Koalitionsvertrag steht, dass man die EU-Richtlinie umsetzen wolle. Diese hat der Europäische Gerichtshof aber vor einem Jahr gekippt.

Autor*in
Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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