Inland

SPD-Ministerin über Hass im Netz: „Dürfen das Feld nicht den Hetzern überlassen“

Wer bei Facebook oder Twitter hetzt und andere bedroht, muss bald mit konsequenter Strafverfolgung rechnen. SPD-Justizministerin Christine Lambrecht rechnet mit 250.000 Meldungen pro Jahr, sagt sie zur geplanten Anzeigepflicht für Hass in sozialen Netzwerken
von Christian Rath · 28. Mai 2020

Frau Lambrecht, Sie wollen eine Anzeigepflicht für soziale Netzwerke einführen. Rechtswidrige Hass-Postings sollen künftig dem Bundeskriminalamt gemeldet werden. Wo in der Welt gibt es so etwas?

Eine solche Meldepflicht für strafbaren Hass gibt es unseres Wissens bisher nirgends. Deutschland wird Vorreiter sein.

Sind wir besonders straffreudig?

Nein. Aber wir haben mehr Erfahrung. In Deutschland wurde schon 2017 das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken - kurz „NetzDG“ - beschlossen. Seit 2018 müssen Anbieter sozialer Netzwerke wie Facebook dafür sorgen, dass offensichtlich rechtswidrige Hass-Postings in der Regel binnen 24 Stunden gelöscht werden. Auch dabei waren wir Vorreiter.

Hat sich das NetzDG nicht bewährt?

Doch. Wir müssen aber in zwei Richtungen nachbessern. Zum einen genügt es nicht, strafbare Inhalte nur zu löschen, wir wollen auch die Strafverfolgung sicherstellen. Deshalb die Meldepflicht. Und wenn ein Netzwerk etwas zu Unrecht löscht, müssen wir die Rechte der betroffenen Nutzer stärken. Für beides habe ich Gesetzentwürfe vorgelegt.

Sprechen wir über die Strafverfolgung. Für wen gilt die neue Anzeigepflicht?

Die Meldepflicht gilt für alle Anbieter sozialer Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern in Deutschland: Facebook, Youtube, Twitter, Instagram und Tiktok. Das sind die Plattformen, für die das Beschwerdemanagement des NetzDG auch bisher galt. 

Müssen die Netzwerke nun all ihre Seiten auf strafbare Inhalte durchkämmen?

Nein, sie müssen dem BKA nur dann Hass-Postings mit Volksverhetzungen und Morddrohungen melden, wenn es eine konkrete Beschwerde gibt und das Posting daraufhin gelöscht wird. 

Nehmen wir an, ich werde bei Facebook bedroht: „Noch so ein Text und Du bist Hackfleisch“. Ich beschwere mich deshalb bei Facebook. Das Posting wird gelöscht und das BKA informiert. Was macht das BKA künftig mit so einer Meldung?

Wenn das Posting unter dem Klarnamen des Verfassers erfolgt ist, wird das BKA den Fall an die zuständige Staatsanwaltschaft am Wohnort des mutmaßlichen Täters weiterleiten, die dann die konkreten Ermittlungen aufnimmt. 

Wie geht das BKA vor, wenn der Hetzer ein Pseudonym wie „Hitler-2“ benutzt?

Facebook muss dem BKA auch melden, mit welcher IP-Adresse der Nutzer zuletzt unterwegs war. Das BKA kann dann bei den Internet-Providern - etwa der Deutschen Telekom - abfragen, welchem Nutzer diese IP-Adresse zu diesem Zeitpunkt zugeteilt war. Der Provider muss dem BKA den Namen und die Adresse des Kunden mitteilen.

Mit wie vielen Meldungen ans BKA ist zu rechnen?

Mein Ministerium hält 250.000 Meldungen pro Jahr für realistisch. Ich gehe aber davon aus, dass die Zahl langfristig sinkt. Denn wenn künftig strafrechtliche Sanktionen drohen und durchgesetzt werden, hat das auch einen abschreckenden Effekt. 

Ist die Äußerung von Hass nicht auch von der Meinungsfreiheit geschützt?

Die Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt. Wenn Sie mit Gewalt bedroht werden, ist das eine strafbare Handlung, kein freier Diskurs. Mir geht es um den Schutz der Meinungsfreiheit. Vor allem um den Schutz derjenigen, die durch Hetze und Drohungen eingeschüchtert werden und sich zurückziehen. Wir dürfen das Feld nicht den Hetzern überlassen, sonst gerät unsere Demokratie in Gefahr. 

Finden Sie es richtig, dass ein amerikanisches Privatunternehmen wie Facebook entscheidet, ob es in Deutschland Strafverfolgung gibt oder nicht?

Das soziale Netzwerk meldet, wenn ein Post wegen eines strafbaren Inhalts gelöscht wurde, nicht mehr und nicht weniger. Ob die Tat angeklagt wird, entscheidet die deutsche Staatsanwaltschaft. Ob die Tat verurteilt wird, entscheidet ein deutsches Gericht. 

Zu wievielen Ermittlungsverfahren werden die geschätzten 250.000 Meldungen der Netzwerke führen?

Meine Fachleute rechnen mit rund 150.000 zusätzlichen Ermittlungsverfahren bundesweit. Ich gehe davon aus, dass auch diese Zahl langfristig deutlich sinken wird. 

Sind BKA und Justiz damit nicht überfordert?

Wir müssen Polizei und Justiz natürlich entsprechend ausstatten. Das BKA wird 252 neue Mitarbeiter bekommen. Und für die Justiz der Bundesländer haben wir einen Mehrbedarf von 265 Stellen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten geschätzt. 

0 Kommentare
Noch keine Kommentare