SPD-Fraktionsvize zu Magdeburg: „Ergebnissen der Ermittlungen nicht vorgreifen“
Nach dem Anschlag von Magdeburg beginnt die politische Aufarbeitung. Am 30. Dezember wird der Innenausschuss des Bundestags zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Bis dahin mahnt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese zur Zurückhaltung und warnt vor einer Instrumentalisierung der Tat.
Maurice Weiss
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese: Es ist wichtig, dass die Sicherheitsbehörden jetzt ihre Arbeit machen.
Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt wird viel über die Motive des Täters spekuliert. Wie ist die Tat nach Ihren Erkenntnissen zu bewerten?
Die Tat, die in Magdeburg passiert ist, erschüttert bis ins Mark. Menschen wollten auf einem Weihnachtsmarkt zusammenkommen und besinnlich feiern, und dann passiert so eine schreckliche Tat. Das lässt niemanden kalt und mein Dank gilt daher zuerst mal den Einsatz- und Rettungskräften und dem Krankenhauspersonal, die da wirklich Unglaubliches geleistet haben und sehr wahrscheinlich durch ihren Einsatz mit dazu beigetragen haben, dass nicht noch mehr Menschen gestorben sind.
Über die Tat selbst kann ich nach bisherigem Erkenntnisstand sagen, dass sie nicht in ein bestimmtes Schema passt. Viele rechte Kreise waren ja sehr schnell unterwegs und haben über einen islamistischen Hintergrund spekuliert. Das ist mit ziemlicher Sicherheit nichtzutreffend. Stattdessen ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um einen psychisch gestörten Täter handelt, der aber klare Sympathien mit dem rechten Milieu hat. So scheint es jedenfalls nach den ersten Anhaltspunkten.
Inzwischen rücken mögliche Fehler der Sicherheitsbehörden in den Mittelpunkt der Debatte. Wo gab es da aus Ihrer Sicht Versäumnisse?
Ich bin da noch zurückhaltend. Es ist wichtig, dass die Sicherheitsbehörden jetzt ihre Arbeit machen. Sie haben angekündigt, jeden Stein umzudrehen. Und das ist auch richtig. Es muss genau hingeschaut werden. Verfrühte Forderungen zu stellen oder Beschuldigungen auszusprechen, helfen nicht weiter. Den Ergebnissen der Ermittlungen sollten wir nicht vorgreifen. Am 30. Dezember werden der Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags zu Sondersitzungen zusammenkommen. Dort werden wir den Stand der Ermittlungen bewerten.
Welche Erwartungen haben Sie und die SPD-Bundestagsfraktion an die Sitzungen?
Zunächst mal werden auch Sondersitzungen im Land Sachsen-Anhalt stattfinden. Dort gibt es auch wichtige Fragen zu beantworten. Bei der Sondersitzung des Innenausschusses werden wir die Präsidenten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, vom Bundesamt für Verfassungsschutz und möglicherweise auch vom Bundesnachrichtendienst befragen, weil es auch Hinweise von ausländischen Diensten, namentlich Saudi-Arabien, gegeben hat. All das wird dabei helfen, dass wir hier mehr Licht ins Dunkel bekommen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat bereits an CDU und CSU appelliert, Gesetzesvorhaben, die nach dem Anschlag von Solingen auf den Weg gebracht wurden, zuzustimmen, der biometrischen Überwachung zum Beispiel. Hätte die geholfen, den Anschlag von Magdeburg zu verhindern?
Ob ein einzelnes Gesetz möglicherweise dazu geführt hätte, dass der Anschlag hätte verhindert werden können, ist noch unklar. Trotzdem sind die Befugnisse, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser angestoßen hat und die teilweise von CDU und CSU im Bundesrat blockiert worden sind, richtig und würden generell für mehr Sicherheit sorgen. Die Sicherheitsbehörden drängen schon länger auf mehr Befugnisse im Online-Bereich. Gleiches gilt für ein modernes Bundespolizeigesetz und mehr Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und bei Veranstaltungen. Das sind Punkte, die leider auch der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann nicht vorangetrieben, sondern blockiert hat.
Schon kurz nach dem Magdeburger Anschlag gab es im Internet wilde Spekulationen über die Motive des Täters, die zum Teil gesteuert schienen. Wie groß ist die Gefahr, dass die Tat in den kommenden Tagen und Wochen weiter instrumentalisiert wird?
Das geschieht ja bereits und es reicht von Rechtsextremisten bis hinein in die AfD, die in einer perfiden Art und Weise versuchen, diese Tat für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Und das, obwohl der Täter nach bisherigem Kenntnisstand eben genau mit Teilen der rechtsextremen Szene bis hin zur AfD sympathisiert hat. Aus Hass und Hetze werden Taten. Das hat der furchtbare Anschlag von Magdeburg einmal mehr gezeigt. Umso wichtiger finde ich, was kurz nach der Tat in Magdeburg passiert ist. Da sind die Menschen auf die Straße gegangen – in tiefer Trauer, aber auch für Menschlichkeit. Dass man in einer solchen Situation zusammensteht und sich nicht den rechten Hetzern hingibt, ist ein starkes und wichtiges Zeichen in einer solch schwierigen Situation für unsere Gesellschaft.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.