Inland

SPD-Fraktion will mehr Mitsprache statt „Durchregieren“ im Kampf gegen Corona

In der SPD-Bundestagsfraktion mehrt sich Kritik an der Regierungspraxis im Kampf gegen das Coronavirus. Neben juristischen Bedenken geht es auch um Grundsätze der parlamentarischen Demokratie.
von Benedikt Dittrich · 30. Oktober 2020
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Schon vor dem neuen Lockdown wurde die Kritik lauter an der Art und Weise, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit den Ministerpräsident*innen der Länder regelmäßig neue Regeln und Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus vereinbarte. Von Hinterzimmerpolitik war die Rede, davon dass neue Regelungen „ausbaldowert“ werden, wie es der verstorbene Bundestagsvize Thomas Oppermann formuliert hatte.

„Wir konnten inzwischen zeigen, dass wir als Bundestag auch in der aktuellen Krise handlungsfähig sind“, sagt Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Im Frühjahr habe man hingegen noch nicht genug über das Virus gewusst, deswegen seien damals die Befugnisse der Exekutive übertragen worden. Das habe sich inzwischen geändert.

Infektionsschutz konkretisieren, Regeln abstimmen

Fraktionschef Rolf Mützenich hatte deswegen nach der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag bereits durchblicken lassen, dass die SPD Veränderungsbedarf sieht – ohne die aktuellen Corona-Maßnahmen in Frage zu stellen. „Von Anfang an war die weitreichende Ermächtigung der Exekutive im Infektionsschutzgesetz eine Möglichkeit auf Zeit“, so Mützenich. Die Zeit, in der eine maximale Flexibilität der Exekutive nötig sei, sei noch nicht vorbei, ergänzte Mützenich mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen und dem drohenden Kontrollverlust der Pandemie. „Vor diesem Hintergrund sind diese Maßnahmen richtig“, sagte Mützenich. „Gleichwohl ist es richtig, dass wir die Erfahrungen aus der Pandemie auch als Gesetzgeber weiter aufarbeiten und in Gesetze umsetzen müssen.“ Sein Vorschlag: Gesetze konkretisieren und in den kommenden Wochen über zusätzliche Bestimmungen debattieren.

Die Rede ist von „Leitplanken“ für die Exekutive, wie Johannes Fechner im Gespräch mit dem „vorwärts“ erläutert: „Wir wollen mehr Bundeseinheitlichkeit erreichen, indem wir den Ländern einen Handlungsrahmen vorgeben. Im Infektionsschutzgesetz muss genau geregelt sein, wann Länder unter welchen Voraussetzungen welche Maßnahmen anordnen können.“ Maskenpflicht, Sperrstunden, Aufenthaltsbeschränkungen sollten in dem Gesetz geregelt werden – und damit auch die Hürden festgesetzt, wann diese Maßnahmen angeordnet werden können. „Zuständig bleiben aber die Länder“, so Fechner, „um flexibel auf das örtliche Infektionsgeschehen reagieren zu können“.

Verordnungen nur mit Begründung und Ablaufdatum

Ganz konkret sollte der Bundestag künftig zustimmen müssen, wenn Verordnungen des Gesundheitsministers in Grundrechte eingriffen, erläutert der Sozialdemokrat die Pläne seiner Fraktion. „Das sollte auch in den Ländern passieren“, so Fechner. Außerdem fordert er eine Begründungspflicht für solche Verordnungen ein. „Die Regierung muss konkret den Sinn und den Zweck einer Maßnahme begründen.“ Auch eine zeitliche Befristung sollte es bei Regeln und Verordnungen geben, die erheblich in die Grundrechte eingriffen.

Während auch andere Oppositionsparteien in den vergangenen Tagen mehr Mitsprache des Bundestags eingefordert hatten, gingen Teile der CDU auf Distanz zu diesen Vorschlägen. Erst für eine mögliche andere Pandemie in der Zukunft sollte diese Debatte geführt werden, erklärte unter anderem Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus im ARD-Morgenmagazin. „Wir werden das in Ruhe angehen und uns überlegen, wie wir es bei der nächsten Pandemie so machen können, dass die Bedenken berücksichtigt werden.“ Mehr Mitspracherechte des Parlaments hatte auch ein Parteikollege angemahnt, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Umsetzung noch bis Jahresende

Die SPD-Fraktion will die neuen Regelungen hingegen schon für die aktuelle Ausnahmesituation auf eine rechtssichere Grundlage stellen, wie Fechner durchblicken lässt: „Wir starten nächste Woche mit den ersten Abstimmungsgesprächen.“ Der Rechtspolitiker sieht vor allem akuten Handlungsbedarf, weil es Bedenken von Gerichten und anderen Rechtsexpert*innen gebe, ob die aktuelle Rechtsgrundlage eine Dauerlösung sein könne. „Wir müssen da reagieren. Wir sollten den Ehrgeiz haben, das noch in diesem Jahr umzusetzen“, gibt er sich optimistisch.

„Ich glaube, dass das der richtige Rahmen für diese Situation ist“, sagte Fraktionschef Mützenich schon am Donnerstag im Plenum. „Im Kern wollen wir eine breitere Legitimität und Flexibilität schaffen.“ Auch in unsicheren Zeiten sei der Reflex zum Durchregieren keine Alternative zum mühsamen Konsensprozess, so Mützenich.

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