SPD-Chefin zur Corona-Krise: Wir müssen über die Vermögensabgabe diskutieren
Frau Esken, von Ihnen stammt der Satz, dass die SPD Betriebsrat der digitalen Gesellschaft sein muss. Was heißt das für die Zielsetzung ihrer Partei?
Der Betriebsrat ist im Unternehmen nicht nur Interessenvertretung, sondern im Zuge der betrieblichen Mitbestimmung auch in die Entwicklung des Unternehmens intensiv eingebunden. In diesem Sinne stehe ich für eine SPD, die die Interessenvertretung für Bürger*innen ist, die die digitale Gesellschaft mitgestalten. Das entspricht auch der Gründungsphilosophie der Sozialdemokratie. Die SPD war immer auch Organisatorin einer aktiven Zivilgesellschaft und der Arbeiterbildung.
Nun erleben wir durch die Corona-Krise eine Beschleunigung des digitalen Wandels. Die Plattformökonomie boomt. Was kommt da aus ihrer Sicht auf uns zu?
Wir haben es in der jetzigen Krise nicht nur mit Einkommens- und Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit zu tun, sondern auch mit unfreiwilligem Homeoffice, teils wegen Infektionsschutz, teils wegen fehlender Kinderbetreuung. Bislang waren viele Arbeitgeber nicht geneigt, flächendeckendes mobiles Arbeiten zu akzeptieren. Manche sagen, aus Misstrauen gegenüber der Arbeitsmoral ihrer Mitarbeiter*innen. Dass das nicht nur ein Vorurteil ist, erkennt man daran, dass derzeit Software zur Überwachung am heimischen Arbeitsplatz boomt. Das Recht auf mobiles Arbeiten und das Recht auf Nichterreichbarkeit – beides Forderungen der SPD – werden also immer drängender, aber auch der Beschäftigungsdatenschutz.
Der gläserne Arbeitnehmer ist keine gute Idee. Ähnlich ist es bei der Entwicklung des online-Handels: Bisher machen amazon & Co. das Geschäft, aber gerade im aktuellen Lockdown entdecken viele kleine Läden das Potenzial einer online-Bestellung und –Lieferung an lokale Kundschaft. Wenn wir den lokalen Handel erhalten und stärken wollen, müssen wir das fördern.
Stellt die aktuelle Situation eine besondere Herausforderung für die SPD dar?
Nicht erst in der aktuellen Situation, aber jetzt umso mehr bin ich der Überzeugung, dass wir vor einer Dekade der Sozialdemokratie stehen. Wir reden hier von der Gestaltung der Zukunft, die schon längst da ist, aber eben noch nicht gerecht verteilt. Viele schon längst bestehende Reform- und Gestaltungsbedarfe werden jetzt in der Krise überdeutlich. Wie finanzieren wir ein leistungsfähiges Gesundheitssystem für alle, wie sorgen wir für eine zukunftsfähige, nachhaltige und krisenfeste Wirtschaft, wie sorgen wir für gerechte Bildungschancen und wie gestalten wir den Sozialstaat und den Arbeitsmarkt von heute und morgen? Ein Beispiel ist die starke Entwicklung der Soloselbstständigkeit. Die beschäftigt uns natürlich schon länger, aber jetzt in der Krise wird überdeutlich: Erheblich viele dieser Menschen verdienen so prekär, dass sie über keinerlei eigene soziale Absicherung verfügen und dass ihnen als einziges Auffangnetz die Grundsicherung bleibt. Ich sehe die Sozialdemokratie in der Pflicht, soziale Sicherungssysteme und Interessensvertretung für diese Erwerbstätigen und mit diesen Erwerbstätigen zu organisieren.
Nun werden in der Krise auch die Rufe nach Verstaatlichung laut, vor wenigen Monaten noch undenkbar. Gute Sache für die SPD?
In der neoliberalen Phase der Weltwirtschaft gab es eine Tendenz, die freiwilligen Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge grundsätzlich infrage zu stellen und möglichst alles zu privatisieren. Der Standardspruch, der Staat sei nicht der bessere Unternehmer, stimmt sowieso nicht in jedem Fall. Keinesfalls bedeutet er aber im Umkehrschluss, dass der private Unternehmer der bessere Staat sei. Es gibt ganz klar Bereiche, die in die öffentliche Hand gehören, damit sie für alle verfügbar und bezahlbar bleiben. So wie die Wasserversorgung gehört zum Beispiel auch der Zugang zum Internet dazu, ebenso wie die Gesundheitsversorgung. Die SPD steht für einen starken, handlungsfähigen Staat, der Daseinsvorsorge bietet, Regeln setzt und durchsetzt und an der Seite derjenigen steht, die keine eigene Lobby haben. Die Rufe nach dem starken Staat sind in Krisenzeiten ja immer beliebt, danach soll er sich dann bitte wieder zurückziehen. Das ist nicht unsere Haltung.
Den Rufen nach dem starken Staat kommt die Politik derzeit ja in hohem Maße nach. Da fließen enorme Summen in die Rettung von Unternehmen. Wird das die Ungleichheiten in unserem Land eher verstärken?
Die Rettung von Unternehmen ist ja immer auch eine Rettung von Arbeitsplätzen, insofern hat das schon seine Richtigkeit. Der Befürchtung, dass daraus neue Ungleichheit entsteht, müssen wir klar entgegenwirken. Erst zu Beginn des Jahres hat eine Studie des World Economic Forums deutlich gemacht, dass Ungleichheit für die ökonomische Gesamtentwicklung hinderlich ist. Insofern liegt es im gemeinsamen Interesse, Ungleichheiten bei Einkommen zu überwinden, stärker umzuverteilen und für gerechte Chancen zu sorgen. In diese Richtung muss unsere Arbeit weitergehen. Wer jetzt dagegen Unternehmenssteuersenkungen fordert, muss sich fragen lassen, wer für die Schulden aufkommen soll, die der Staat jetzt aufgenommen hat, um die Unternehmen aus der Krise zu retten. Ich habe mit meiner Forderung nach einer Vermögensabgabe einen Vorschlag dazu gemacht, über den noch ernsthaft diskutiert werden muss.
Wofür muss sich die SPD in, aber auch nach der Krise stark machen?
Neben der Frage, wer am Ende diese Krise finanziert und wer dafür sorgt, dass die Konjunktur wieder in Gang kommt, müssen wir darüber reden, dass die neuerdings so genannten systemrelevanten Berufe nicht weiterhin die prekär bezahlten Berufe sein dürfen. Es ist endlich an der Zeit, dass diese Beschäftigten unsere Wertschätzung nicht nur am Applaus erkennen, sondern auch am Gehalt. Es geht also auch weiterhin um einen wesentlich höheren Mindestlohn und flächendeckend wirksame, starke Tarifverträge.
Dabei dürfen wir uns als SPD nicht darauf beschränken, Missstände zu beseitigen. Es muss uns auch darum gehen, dass wir gesellschaftliche Entwicklungen positiv gestalten, die schon vor der Krise anstanden und die jetzt umso dringlicher geworden sind. Für den digitalen Wandel brauchen wir nicht nur flächendeckend schnelles Internet, auch die softe Infrastruktur für eine digital vernetzte Zivilgesellschaft fehlt uns nicht erst seit der Krise. Auch der Klimawandel hat nicht an Dringlichkeit verloren, aber vielleicht ergeben sich ja ganz neue Chancen, den dafür notwendigen ökologischen Wandel weiter voranzubringen, z.B. durch mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft und neue Mobilitätsgewohnheiten. Eine aktive Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik muss dabei auf allen Ebenen handlungsfähig sein und deshalb insbesondere die Kommunen stärken und mit Investitionsmitteln ausstatten.
Wird dafür das Geld noch da sein?
Das ist eine Frage der Verteilung. Es gibt in Deutschland laut der Statistik 2.500 Milliarden Euro Barvermögen. Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 56 Prozent davon, das oberste Prozent verfügt über 18 Prozent. Anders gesagt liegt in Deutschland eine Menge Geld auf Kante und da fragen wir uns, wie wir als Gemeinwesen über die Runden kommen sollen? Auch beim Einkommen gibt es weiterhin eine hohe Ungleichheit. Armut, Ungleichheit und mangelnde Entwicklungschancen haben erhebliche Folgekosten für die gesamte Volkswirtschaft und sind schädlich für die gesellschaftliche Entwicklung. Sozialdemokratische Politik dient dem Gemeinwohl, weil sie Armut bekämpft, gerechte Teilhabe für alle organisiert und gesellschaftlichen Zusammenhalt gestaltet.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.