SPD-Chef Walter-Borjans: Warum Steueroasen und Staatshilfen nicht zusammenpassen
Ein oft zitiertes Bonmot von Helmut Schmidt sieht Krisen zu Recht als Charaktertest. In Krisen zeigt sich, ob wir uns nur ängstlich nach dem zurücksehnen, was wir vorher hatten, oder ob wir auch den Willen haben, Lehren aus der Krise zu ziehen und die richtigen Schritte für notwendige und nachhaltige Veränderungen zu ergreifen.
Weichen jetzt stellen
Es kommt auf die richtige Balance an: Wir möchten zurückhaben, was uns vertraut war, und wir müssen bereit sein zur Veränderung, um das Bewahrenswerte zu erhalten. Wir als SPD tun das, und zwar schon ganz aktuell mit den Corona-Hilfen. Denn: Viele entscheidende Weichen für die Zeit danach werden jetzt gestellt.
Die Corona-Pandemie trifft unsere Volkswirtschaft ins Mark. Wir müssen so viel Schaden wie möglich von ihr abwenden und sie schnell wieder in Gang kriegen – aber auch schon die ersten Weichen für notwendige Korrekturen stellen.
Gemeinwohl in den Mittelpunkt rücken
Das muss sich auch in den Konditionen der Staatshilfen widerspiegeln: Dazu gehört, dass nicht nur die Staatshilfen zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen, sondern auch die Unternehmen ihren Anteil dazu leisten. Unternehmen, die in der Vergangenheit hohe Gewinne eingefahren haben, können und müssen diese Erträge zur Unternehmenssicherung und Sicherung von Arbeitsplätzen einsetzen. So abgedroschen der Satz klingen mag: es gibt in vielen Bereichen immer noch die Neigung, Gewinne privatisieren und Verluste vergemeinschaften zu wollen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, das Gemeinwohl wieder in den Mittelpunkt zu rücken – auch bei der Erwirtschaftung künftiger Gewinne.
Der Staat, das sind wir alle! Wenn der Staat Hilfskredite gewährt, dann gehen wir alle mit unserem Steuergeld ins Risiko. Auch das noch einmal verbesserte Instrument der Kurzarbeit ist eine staatliche Wirtschaftshilfe: Denn in diesem Fall müssen Unternehmen keine Beiträge zur Sozialversicherung zahlen – ein dickes Plus aus den Taschen der Steuerzahler! Deshalb darf niemand von den Steuerzahlern erwarten, dass sie mit ihrem Steuergeld Konzerne nach Jahren des Rekordgewinns aus einer Notlage befreien, vorher aber noch üppige Dividenden an Investoren ausgeschüttet und Boni an Manager ausgezahlt werden sollen.
Arbeitsplätze vor Boni
Dass Investoren bei Laune gehalten werden müssten, da sonst Übernahmen aus dem Ausland anstünden, ist ein vorgeschobenes Scheinargument. In Wahrheit sollen eigene Gewinne und Einkommen geschützt und der eigene Anteil an der Überwindung der Krise möglichst gering gehalten werden.
Die Sicherung der Arbeitsplätze und die Zukunft der Unternehmen müssen unbedingten Vorrang vor Boni und Dividenden haben. Genau das ist übrigens bei den allermeisten Unternehmen gerade gelebte Praxis, die Einigkeit geht weit über SPD und Gewerkschaften hinaus. Auch der Vorsitzende der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Marc Tüngler, stellte klar: „Jetzt üppige Dividenden auszuschütten und später gegebenenfalls nach dem Staat zu rufen, das passt nicht zusammen.“
Steueroasen und Staatshilfen passen nicht zusammen
Genauso wenig passen auch Steueroasen und Staatshilfen zusammen. Deshalb muss eine weitere Voraussetzung für Staatshilfen sein, all diejenigen Tochterfirmen in Steueroasen zu schließen, die nur der Steuervermeidung dienen und sonst keinen Geschäftszweck haben. Andere Länder mache es uns vor: Frankreich und Dänemark haben angekündigt, Staatshilfen für Unternehmen mit Tochtergesellschaften in Steueroasen genauestens zu prüfen und gegebenenfalls zu verweigern. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen: Wer über Steueroasen seinen Beitrag zu unseren Staatseinnahmen verweigert, hat kein Anrecht auf Staatshilfen aus unseren Steuergeldern.
Mit den aktuellen Unterstützungsmaßnahmen wollen wir die Wirtschaft ankurbeln und zugleich Deutschlands Zukunftsfähigkeit nach der Krise stärken. Darauf müssen wir bei der Ausgestaltung der Coronahilfen achten und entsprechende Bedingungen stellen. Dazu gehört auch, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Unternehmensentwicklung künftig eine deutlich stärkere Bedeutung erhalten. Corona hat den Klimawandel nicht abgelöst, sondern nur in den Hintergrund gedrängt. Auch strukturrelevante Branchen, wie die Autoindustrie, die Zulieferer oder die Stahlbranche müssen das zur Kenntnis nehmen und sich neu aufstellen.
Staatshilfe muss dem Gemeinwohl dienen
Nur so haben sie eine Chance, ihre Zukunft am Standort Deutschland zu sichern. Viele kreative Unternehmen haben das erkannt und sind schon lange dabei, den Wandel zu vollziehen. Es wäre mehr als unfair, ihre Chancen auf Wettbewerbsvorteile zu schmälern, indem wir rückwärtsgewandte Strukturen ihrer Konkurrenten mit Steuergeld zementieren. Wo der Staat unterstützt, muss er den Weg in eine Unternehmenszukunft unterstützen, die zugleich dem Gemeinwohl dient.
Mit den Corona-Hilfen wollen wir so viel wie möglich Schaden von den Unternehmen abwenden. Zugleich wollen und können wir damit entscheidende Weichen für eine gesunde, ökologische und nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft stellen.
So gesehen ist die Feststellung Helmut Schmidts, dass Krisen immer auch ein Charaktertest sind, aktueller denn je. Es geht um den Test, ob wir nur von heute auf morgen zu wirtschaften in der Lage sind, oder ob wir die Zukunft des Landes und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in den Blick nehmen und der nächsten drohenden Krise schon jetzt entgegenwirken. Die Corona-Krise hält uns alle in Atem. Aber sie bietet auch Chancen für ein Umsteuern. Nutzen wir sie!