Inland

SPD-Bildungsdialog: Damit Mogli auch studieren kann

Im deutschen Bildungssystem zählt noch immer, aus welchem Elternhaus ein Kind kommt. Wie das zu ändern ist, diskutierten Sozialdemokraten und Bildungsinitiativen.
von Yvonne Holl · 2. Dezember 2016
Schüler lernen an einer Gesamtschule in Bochum.
Schüler lernen an einer Gesamtschule in Bochum.

Ausnahmsweise plauderte die Ministerin aus dem Nähkästchen: Am Wochenende haben sie mit ihrem Sohn, der eine vierte Klasse besucht, einen Steckbrief zum „Fuchs“ erstellt. Unter der Woche musste sie ihn dann für einen Vokabeltest abfragen. Da geht es Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wie den meisten Eltern. Doch was ist, wenn die Eltern das nicht schaffen? Weil sie psychische Probleme haben, alkoholkrank sind oder schlicht die Sprache nicht sprechen? Um „Chancengerechtigkeit und Bildungserfolg“ ging es bei der Dialogkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion. „Weil Kinder unabhängig von sozialem Status und finanzieller Situation der Eltern gleiche Bildungs- und Zukunftschancen haben sollen“, so Manuela Schwesig. Haben sollen, darauf liegt die Betonung. Denn: „Leider zeigen alle internationalen Studien, dass wir die soziale Selektivität im Bildungssystem noch nicht überwunden haben“, so der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil. Und fügte hinzu: „Seit dem Pisa-Schock hat sich viel positiv entwickelt, aber es gibt immer noch viel zu tun.“

Bildung: Zivilgesellschaft packt längst mit an

Welchen Beitrag neben Lehrern, Politikern, Schülern und Eltern die Zivilgesellschaft leisten kann, um eine echte Chancengleichheit aller Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, darum ging es an diesem Nachmittag unter der Frage „Was kann gesellschaftliches Engagement im Bildungssystem leisten?“

17 Initiativen aus der ganzen Republik stellten sich vor und zeigten: Es gibt schon eine Menge Ideen und viele Schulen und Schüler werden erreicht. Um nur ein paar Projekte beispielhaft zu nennen: Der Verein „Bildungscent“ hat seit 2003 schon an rund 5000 Schulen Projekte zu gesellschaftlichen Themen durchgeführt, etwa zum Klimawandel. An 55 Schulen in sieben Bundesländern  sind die Mitglieder von Chancenwerk e.V. aktiv. Sie befähigen Jugendliche dazu, jüngeren Kindern beim Lernen zu helfen – dafür erhalten die beteiligten Jugendlichen selbst Unterstützung. „Lernkaskade“ nennt sich das.

„Früher war Kita nur Betreuung, nicht Bildung“

Die 6000 ehrenamtlichen Helfer von „arbeiterkind“ unterstützen Kinder, die als erste in ihrer Familie studieren. „Balu & Du“ ist ein Mentorenprojekt für Grundschulkinder, das schon 8500 „Moglis“ an 80 Schulen jeweils ein Jahr begleitet hat. Die Liste an Initiativen lässt sich noch lange fortsetzen. Viele arbeiten übrigens mit ehrenamtlichen Helfern. Klar wurde bei der SPD-Konferenz aber auch, dass noch längst nicht alle Jungen und Mädchen Hilfe, Talentförderung oder andere Unterstützung bekommen, die sie brauchen würden. Und dabei geht es nicht immer nur um darum, Defizite auszugleichen. „Jedes Kind soll die Chance haben, seine Begabungen zu entdecken und auszuleben“, so Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres. In der Bundeshauptstadt gibt es bereits 8000 einzelne Kooperationen zwischen Schulen und Initiativen wie „Bildungscent“ oder „Balu & Du“. „Viel hat sich auch in unserer Betrachtungsweise zum Positiven verändert“, so Scheeres. Früher seien Kita und Hort als reine Betreuungszeit verstanden worden, nicht als Teil von Bildung. „Das ist heute anders, heute besteht der ganze Tag aus Bildungsangeboten.“ Zumindest in Berlin, das auf Ganztagsschulen setzt. Das gilt als längst nicht für alle Bundesländer.

Lockerung des Kooperationsverbotes entscheidend

Um auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Länder eingehen zu können, wünscht sich Ministerin Schwesig ein „Qualitätsentwicklungsgesetz des Bundes“ mit einer Art Instrumentenkasten und ausformulierten Qualitätszielen. „Jedes Land steht wo bei der Bildung woanders, deshalb muss jedes Bundesland individuell schauen, wo es ansetzt“, so die Familienministerin. Dagegen stand bisher das Kooperationsverbot, dass es dem Bund untersagt, den für Bildung zuständigen Ländern und Kommunen zu helfen.  Die Bundesländer sind jetzt zu einer Grundgesetzänderung bereit, die Investitionen des Bundes in kommunale Schulen erlauben soll.

„Es liegt aber nicht alles am Geld“, mahnte Anne Ehrensberger vom Bundesverband Innovative Bildungsprogramme. Ein ebenso wichtiger Faktor wie genügend Geld für sanierte Schulgebäude und genügend qualifiziertes Personal sei „ein wertschätzender Umgang mit Kindern und Jugendlichen“. Ehrensberger plädierte für einen individualisierten Blick auf den Einzelnen, egal ob es sich um Hochbegabte oder Kinder aus einem sozialen Brennpunkt handelt.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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