SPD-AG fordert: Mehr Menschen mit Behinderung in die Parlamente
Thomas Trutschel/photothek.net
Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte April eine Eil-Anordnung erlassen, wonach auch Menschen mit Vollbetreuung auf Antrag an der Europawahl teilnehmen können. Wie bewerten Sie das?
Wir sind froh, dass nun alle Menschen mit Behinderungen an der Wahl teilnehmen können. Sie sind damit gleichberechtigte Bürger wie alle anderen auch. Wir von Selbst aktiv sind besonders stolz darauf, dass wir 2012 als erste die Initiative ergriffen haben, allen Menschen das Wahlrecht zuzugestehen. Malu Dreyer hat dann, noch als Sozialministerin von Rheinland-Pfalz, eine Bundesratsinitiative gestartet. Und in der vergangenen Legislaturperiode war unser Vorhaben bereits Teil der Koalitionsvereinbarung, wurde aber von der Unionsfraktion blockiert. Dass diese lange Hängepartei zu einem guten Ende gekommen ist, zeigt, dass man einen langen Atem braucht.
Welche Personengruppe betrifft diese Entscheidung genau?
Mich hat eine Dame angesprochen, die im Heimbeirat aktiv ist. Als Person, die für alle Bereiche unter Betreuung gestellt worden ist, darf sie nicht wählen. Hier wird Betreuungsrecht mit Wahlrecht vermischt. Das ist nach unserer Überzeugung nicht richtig. Nun hat das Bundesverfassungsgericht klar entschieden, dass diese Personen wählen können.
Allerdings erhalten sie bei der Europawahl nicht automatisch eine Wahlbenachrichtigung, sondern müssen erst einen Antrag stellen. Ist das eine große Hürde?
Das ist eine erhebliche Hürde. Da sind jetzt vor allem die Wahlämter gefragt, nach Möglichkeit noch allen Personen nachträglich Wahlbenachrichtigungen zu schicken. Wenn bundesweit 83.000 Personen betroffen sind, lässt sich das für eine Kommune handhaben. Darauf wirken die großen Behindertenverbände hin und rufen dazu auf, zur Wahl zu gehen. Außerdem geben wir von Selbst aktiv eine Wahlhilfebroschüre heraus, in der wir gerade für diesen Personenkreis in leichter Sprache Schritt für Schritt erläutern, wie Wahlen ablaufen.
Wie sieht es generell mit dem inklusiven Wahlrecht auf Bundes- und Länderebene aus?
Auf Bundessebene ist es geklärt und auch in Niedersachsen gilt das Wahlrecht seit vier Wochen und zwar sowohl auf Länder- als auch auf kommunaler Ebene. Vorläufer waren Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, in beiden Ländern wurde das Wahlrecht für Alle unter einer SPD-Regierung auf den Weg gebracht. Für alle anderen Bundeländer kann ich es noch nicht genau beurteilen.
Was ist in Sachen Gleichberechtigung von behinderten Menschen noch zu tun?
Inklusives Wahlrecht heißt ja nicht nur, alle vier Jahre wählen zu gehen. Es geht auch um die Frage, wie wir die gläserne Decke durchbrechen. Menschen mit Behinderungen erreichen nur schwer Entscheidungsfunktionen und aussichtsreiche Listenplätze. Deshalb fordern wir, dass sie vorrangig platziert werden. Wir möchten, dass die Stimme behinderter Menschen in den Gremien zu hören ist. Hier ist es Aufgabe der SPD, emanzipatorisch zu wirken und Mündigkeit zuzusprechen.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.