Sozialpsychologin Pia Lamberty: „Verschwörungstheorien wurden zu lange belächelt“
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Warum erfahren Verschwörungsideologien in Zeiten der Corona-Pandemie verstärkt Zulauf?
Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen in Krisenzeiten verstärkt an Verschwörungen glauben. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten in der Geschichte – auch in Bezug auf Krankheitsausbrüche wie Ebola, Zika, AIDS oder die Spanische Grippe. In so einer Zeit erleben viele Menschen einen Kontrollverlust, der verstärkend wirken kann. Man weiß nicht, was als nächstes kommt, wie sich die Pandemie entwickelt. Das Smartphone ist voll von Nachrichten zum Krisengeschehen. Alle sprechen darüber und sind auf einmal mit Themen konfrontiert, von denen viele vorher keine Ahnung hatten. Die meisten haben wahrscheinlich gedacht, dass exponentielles Wachstum etwas ist, was sie nach dem Mathematikunterricht nicht mehr behandeln müssen und was eine Reproduktionszahl ist, wussten vorher auch eher wenige. Dazu kommt die soziale Isolation, unter der viele leiden. In so einer Zeit fühlen sich viele Menschen natürlich unsicher oder haben Angst – das zeigen auch verschiedene Studien. Verschwörungserzählungen sprechen genau diese Gefühle an: Der Verschwörer wirkt greifbarer, gibt eine Struktur.
Wer ist anfällig für Verschwörungtheorien?
Laut den Ergebnissen der letzten Mitte-Studie haben Männer stärker an Verschwörungen geglaubt als Frauen. Ost-West-Unterschiede, die es lange gab, spielen keine Rolle mehr. Menschen mit einer niedrigeren formalen Bildung glauben tendenziell eher an Verschwörungen. Allerdings spielt hier weniger Intelligenz eine Rolle, sondern das Gefühl, von der Gesellschaft abgehängt worden zu sein. Das verdeutlicht auch ein wenig die gesellschaftliche Dimension von Verschwörungsdenken. Wenn Menschen in Unsicherheit leben, sind sie empfänglicher für Verschwörungsdenken. Wer beispielsweise seine Arbeit verliert oder unter unsicheren Bedingungen arbeitet, meint eher, dass Strippenzieher im Geheimen das Weltgeschehen lenken.
Inwiefern gibt es eine Verbindung zwischen Verschwörungsglauben und rechtsextremem Gedankengut?
In Bezug auf politische Einstellungen finden sich Verschwörungsideologien stärker bei Menschen, die sich als politisch rechts verorten oder rechtspopulistische/-extreme Parteien wählen. Es gibt eine inhaltliche Anschlussfähigkeit zwischen Populismus und Verschwörungserzählungen. Populisten verstehen sich als „das Volk“, das sich gegen die vermeintliche Elite wehren muss. Diesen Gedanken erkennt man auch in der Verschwörungserzählung: „Wir gegen die da oben.“ Es herrscht in beiden Welten ein generalisiertes Misstrauen gegen alles, was als mächtig wahrgenommen wird. Rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen und Parteien nutzen Verschwörungserzählungen auch gezielt zur politischen Mobilisierung.
Trotzdem darf man nicht den Fehler machen und das Phänomen nur in der extremen Rechten suchen. Der Glaube an Verschwörungen zieht sich durch die Gesellschaft. Und das macht eben auch eine der Gefahren aus.
Der rechtsextreme Attentäter von Hanau hing offenbar dem Glauben an, dass geheime Mächte im Hintergrund wirken. Zeigt das, dass Verschwörungstheorien mehr sind als nur eine harmlose Spinnerei?
Verschwörungserzählungen spielen eine Rolle in der Radikalisierung. Durch die Konstruktion eines Feindbildes können sich Menschen selbst überhöhen und meinen, dass auch Gewalt gerechtfertigt sei. Es zeigt sich auch in Studien, dass schon die abstrakte Verschwörungsmentalität mit einer stärkeren Gewaltaffinität einhergeht. Ein weiteres Problem: Eine kritische Auseinandersetzung – auch intern – ist kaum mehr möglich. Jede Kritik wird entweder als naiv oder Teil der Verschwörung stigmatisiert. Wie gefährlich Verschwörungserzählungen sein können, konnte man bei verschiedenen Terroranschlägen wie in Christchurch und dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle an Jom Kippur sehen. Die Attentäter nutzen Verschwörungsmythen als Rechtfertigung für ihre Taten.
Das „Protokoll der Weisen von Zion“ gilt als eine der ersten Verschwörungstheorien. Inwiefern gibt es daher eine grundsätzliche Korrelation zwischen Verschwörungstheorien und Antisemitismus?
Antisemitismus spielt eine große Rolle bei Verschwörungserzählungen. Viele Narrative haben eine lange Geschichte und werden immer wieder herangezogen. Antisemitische Verschwörungsmythen können sich aber auch gesellschaftlich aktualisieren. Während lange Zeit vor allem Illuminaten oder Bilderberger im Fokus standen, wurde in den letzten Jahren der Philanthrop Georg Soros zum Gegenstand von vielen antisemitischen Mythen. Welche Gefahr von solchen Verschwörungsmythen ausgeht, hat man nicht nur am rechtsextremen Terroranschlag in Halle letztes Jahr sehen können.
Bei der Verschwörungsmentalität sprechen wir von einem generalisierten Misstrauen, einer Vorurteilsstruktur gegenüber all den Personen und Gruppen, die als mächtig wahrgenommen werden. Dies trifft auf die Wissenschaft oder die Medien zu, aber eben auch auf soziale Gruppen. Juden wurden und werden häufig mit Macht assoziiert und werden daher oft zum Gegenstand von Verschwörungserzählungen. Diese Überlappung von Verschwörungsdenken und Antisemitismus zeigt sich auch in empirischen Studien.
Welche Rolle spielen Prominente wie Attila Hildmann oder Xavier Naidoo für die Verbreitung von Verschwörungsideologien?
In der Krise sind verschiedene Prominente immer wieder durch die Verbreitung von Verschwörungserzählungen aufgefallen. Durch ihre Reichweite können sie ihre Ideen und Ansichten natürlich viel schneller verbreiten als Privatpersonen. Auch vereinen sie oft eine heterogenere Gruppe als beispielsweise Parteien. Dadurch werden auch Personen erreicht, die vielleicht vorher nicht in Kontakt mit solchen Verschwörungserzählungen waren. Darüber hinaus genießen solche Personen natürlich auch ein gewisses Vertrauen ihrer Anhängerschaft. Dadurch können sie auch noch einmal überzeugender wirken.
„Eine bundesweite Beratungsmöglichkeit wäre dringend notwendig“
Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es im Umgang mit Verschwörungstheorien?
Auf individueller Ebene gibt es einige Beratungsangebote für den Umgang im eigenen Umfeld. In manchen Bundesländern gibt es beispielsweise nicht-kirchliche Sektenberatungsstellen. Eine bundesweite Beratungsmöglichkeit gibt es aber leider noch nicht, obwohl es dringend notwendig wäre. Auf gesellschaftlicher Ebene wurde das Thema zu lange belächelt und vernachlässigt. Es braucht dringend einen Diskurs, wie mit dem Thema umgegangen werden soll. Es braucht Strukturen, die langfristig gefördert werden und Forschung, die sich damit befasst, wie dem Glauben an Verschwörungen begegnet werden kann. Daneben ist das Ganze auch eine Sicherheitsfrage. Hier ist natürlich auch der Staat gefragt.
Pia Lamberty steht beim SPD-Debattencamp auf der Hauptbühne – und diskutiert zum Thema: „Von Aluhut bis Reichskriegsflagge – Wie Corona-Leugner*innen unsere Demokratie angreifen“
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo