Martin Schmuck: Die Finanz- und Wirtschaftskrise scheint ja schnell vorüber zu gehen: Die Exporte explodieren, die Steuerquellen sprudeln, die Arbeitslosenzahlen sinken. Unterm Strich gefragt: Kann alles beim Alten bleiben?
Peer Steinbrück: Wir sind im 4. Jahr der Krise. Vielleicht sind wir aus dem Gröbsten raus, aber die Lage ist nach wie vor labil, wie insbesondere in der Eurozone abzulesen ist. Um die Wiederholung einer Krise dieser Tiefenschärfe zu vermeiden, müssen globale und europäische Ungleichgewichte abgebaut, eine stärkere Finanzmarktregulierung eingeführt und die europäische Integration weiter vorangetrieben werden.
Schwarz-Gelb hat zwar schnell abgewirtschaftet, doch wo bleibt da die SPD mit ihrer Finanz- und Wirtschaftskompetenz?
Die SPD hat immer dann Bundestagswahlen gewonnen, wenn sie ihre sozialpolitische Kompetenz mit einer hohen Wirtschaftskompetenz kombinierte und die Plattform für die zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Multiplikatoren aus Medien, Kunst und Kultur bot. Die beiden letzteren Faktoren sind derzeit unterbelichtet.
In Deinem Buch suchst Du im Rückblick auf Markt- oder Staatsversagen bei der Finanz- und Wirtschaftskrise die Fehler bei Bankern und Politikern. Die SPD ist bei der Bundestagswahl allerdings für Ihre Lösungskompetenz nicht belohnt sondern bestraft worden. Wo, wie und mit wem kann sie da Boden wieder gut machen?
Die SPD muss inhaltlich und personell Angebote für diejenigen machen, die Peter Glotz einmal die "disponierenden und kreativen Arbeiter" genannt hat.
Du sprichst in Deinem Buch von einem Grundkonflikt in der SPD zwischen einer gewerkschaftszentrierten Ausrichtung und einer Öffnung gegenüber den "Arbeitern der Wissensgesellschaft". Ist dies nicht eine verengte Sichtweise, wenn IGBCE und IG Metall mit vielen Sozialdemokraten gerade in der Krise mit flexiblen betrieblichen Lösungen, Tarifverträgen etc. agiert und reagiert haben?
Die SPD soll ihre Verbundenheit mit der Gewerkschaftsbewegung nicht aufgeben, aber gelegentlich eine gewisse Divergenz ausdrücken, um Wähler zu erreichen, die dem Gewerkschaftsmilieu fern stehen.
Nach Deinem Urteil über die "Zellteilung der Gesellschaft" verharrt in den oberen Etagen des Landes ein "Prekariat" mit sozialen Deformationen. Menschen also, die sich nur über ihr Einkommen definieren. Wie kann da eine SPD gewählt werden, für soziales Gleichgewicht sorgen, wenn gleichzeitig die unteren Etagen links abdriften, nicht mehr wählen gehen, sich gesellschaftlich ausklinken?
Die SPD wird einerseits die Vorbildrolle und Gemeinwohlverpflichtung der sogenannten Eliten anmahnen und zum Gegenstand politischer Debatten machen müssen. Und sie wird sich andererseits darum bemühen müssen, die Verlierer wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Letzteres gelingt am ehesten über Bildung.
Bei Deiner Neuvermessung der Politik sprichst Du auch die delikate Beziehung "Politik und Medien" an. Deine Analyse über die medialen Windmühlen, den Konkurrenzdruck und die Verflachung des TV-Programms ist klar. Aber wie kann sich da überhaupt etwas ändern? Muss die Politik nicht auch wieder direktere Wege gerade zu den Meinungsmultiplikatoren suchen, z.B. über "Brückenbauer" wie die FES und/oder ihren Managerkreis?
Die Politik wird auf die Vermittlung durch Medien nicht verzichten können. Aber richtig ist, dass sich mit dem Internet völlig neue Möglichkeiten aufgetan haben, um nicht mehr allein auf die klassischen Print- und elektronischen Medien angewiesen zu sein. Die Ausstrahlung der FES als "Think Tank" und Forum könnte in der Tat verstärkt werden.
Du appellierst in Deinem Buch an die SPD, nicht den Anspruch, größte Partei werden zu wollen, aufzugeben. Was ist, wenn in Baden-Württemberg, wo die SPD den schwierigen Spagat um Stuttgart 21 macht, von den Grünen als Juniorpartner in eine Regierungskoalition eingeladen wird?
Das ist dann das Ergebnis einer demokratischen Wahl, welches hinzunehmen ist.
Im Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung war Peer Steinbrück im Jahr 2010 mehrmals zu Gast, hat Vorträge in München und Bonn gehalten. Im Dezember 2010 hat er sein aktuelles Buch "Unterm Strich" im Rahmen des Managerkreises in Stuttgart vorgestellt. Das Interview führte Martin Schmuck, ehemaliger Leiter des ZDF-Studios Düsseldorf und Mitglied im Vorstand des Managerkreises NRW. Das Interview erschien im Newsletter des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung.