Sozial oder digital? Neue Denkanstöße für den Wandel der Arbeit
Ute Grabowsky/photothek.net
An Berichten zum Wandel der Arbeitswelt mangelt es nicht. Die Begriffe Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 sind in aller Munde. Die kontrovers geführten Debatten reichen von den Prognosen über das Ende der Arbeit, wie wir sie kennen, über die Notwendigkeit lebenslangen Lernens bis zu den Problemen der sogenannten Plattformökonomie, die Beschäftigung ohne Betrieb und soziale Absicherung hervorruft.
Handlungsoptionen inbegriffen
Seit Mittwoch gibt es nun eine weitere Publikation zu diesem Thema. Der Abschlussbericht der von der Hans-Böckler-Stiftung ins Leben gerufenen Kommission „Arbeit der Zukunft“ setzt jedoch neue Akzente.
So wird das Thema Arbeit nicht auf die klassische Erwerbsarbeit begrenzt; vielmehr nimmt die Kommission unter der Leitung der Soziologin Kerstin Jürgens und des DGB-Chefs Reiner Hoffmann auch Aspekte wie die Alterung der Gesellschaft, den Wertewandel junger Menschen und nicht zuletzt der Feminisierung der Arbeit in den Blick. „Die Arbeit der Zukunft ist mehr als die Digitalisierung“, sagt Kerstin Jürgens bei einer Veranstaltung anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse der Kommission in Berlin. Man habe sich bei der Arbeit nicht auf Szenarien gestützt, sondern solide Diagnosen als Ausgangspunkt genommen und daraus konkrete Handlungsoptionen entwickelt, betont sie. Am Ende herausgekommen sind 54 Denkanstöße in sieben Themenfeldern und ein knapp 250 Seiten starker Bericht.
Schutz für Arbeitnehmer sichern
Beispiel neue Geschäftsmodelle: Sie verändern den Arbeitnehmerbegriff, denn die Plattformökonomie braucht keinen Betrieb mehr, wenn die Aufträge digital ausgeschrieben werden. Folge: Die Beschäftigten arbeiten als Solo-Selbständige ohne soziale Absicherung mit negativen Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme. Was ist zu tun? Für die voraussichtlich wachsende Gruppe der Solo-Selbständigen müssten Rechte und Schutznormen ausgebaut werden, erklärt Jürgens. Diese müssten an die Arbeit gebunden und unabhängig vom Status des Arbeitenden sein, fügt sie hinzu.
Arbeit neu bewerten
Beispiel Aufwertung dienstleistungsbezogener Arbeit: Die zunehmende Einkommensspreizung in Deutschland verlange danach, die Verteilungsfrage zu klären, betont Jürgens. Der Dienstleistungssektor wachse stetig, drohe aber von der Wohlstandsentwicklung abgehängt zu werden. Teilzeitjobs und geringfügige Beschäftigung würden steigen. Jürgens fordert hier ein Umdenken zugunsten der unteren Einkommen. „Minijobs sind nicht mehr zukunftstauglich“, sagt sie. Gleichzeitig reiche der bisherige Produktivitätsbegriff nicht aus, um die Bedeutung sozialer Dienstleistungen für unsere Gesellschaft zu messen. Die Kommission schlägt hier ein neues Referenzsystem für die Wohlstandsentwicklung in Abgrenzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) vor. Jürgens: „Vorstellbar wäre ein Jahreswohlstandsbericht“.
Mitbestimmung ist gefragt
Allein diese zwei Beispiele zeigen: Die Transformation der Arbeit wirft mehr Fragen als Antworten auf und ist mit großer Unübersichtlichkeit verbunden. Kein Wunder: Die „Veränderungswucht“ der Digitalisierung ist unumstritten. Wer die Arbeit der Zukunft gestalten und dem technologischen Fortschritt nicht nur hinterherlaufen will, braucht neue Denkansätze, das scheint klar. Und auch wenn es weiterhin Interessenskonflikte gibt, „können wir doch Einfluß auf die Gestaltung der Zukunft nehmen“, ist die Arbeitssoziologin sicher.
Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist davon überzeugt. Natürlich müsse man den Arbeitnehmerbegriff neu definieren, um ein digitales Proletariat zu verhindern und die Produktivität als Maßstab für Leistung überdenken, so Hoffmann. Man könne die Leistung der Pflegearbeit nicht an der Stückzahl messen. Allerdings sei die Frage, wie man soziale Arbeit bewertet nicht neu, sagt er. Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, sei Handlungsfähigkeit unersetzlich. „Die Sozialpartnerschaft hat in Deutschland einen hohen Stellenwert, doch die Tarifbindung ist rückläufig“, betont der DGB-Chef. Es müssten neue Formen der betrieblichen Mitbestimmung gefunden werden. Hier seien die Gewerkschaften besonders gefordert. Hoffmann ist zuversichtlich: „Auch wir sehen uns als lernende Organisation.“
Denkanstöße fürs Gestalten
Eine Debatte zum gemeinsamen Weiterdenken fördern, so lautet ein formuliertes Ziel der Kommission „Arbeit der Zukunft“. Mit ihrem Abschlussbericht will sie Denkanstöße geben und in die Phase des Gestaltens eintreten, statt weiter über Szenarien zu diskutieren. Aus Sicht der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin ist ihr das gelungen. Für Malu Dreyer, die in ihrem Ministerium ein Digitalisierungskabinett eingerichtet hat, ist der Bericht von großem Wert, weil er unterschiedliche Sichtweisen vereint. Wir müssen die Chancen des Wandels nutzen, fordert sie. Wir müssen aber auch den Rahmen schaffen, um Arbeitnehmern Sicherheit zu geben. Dreyer: „Wir dürfen die Rechte der Arbeitnehmer nicht unter den Tisch kehren, sie müssen verteidigt werden.“
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.