Laut der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ meint fast jeder zweite Deutsche, dass sein Land „in einem gefährlichen Maß überfremdet“ sei. Wie stark sind rechtsextreme Einstellungen in Deutschland ausgeprägt? Und wie kann man gegen sie vorgehen? Darüber wurde am Dienstagabend in der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht diskutiert.
Er ist der Mann, der den verdeckten Alltagsrassismus in Deutschland wissenschaftlich fassbar gemacht hat: Wilhelm Heitmeyer, Professor für Konflikt- und Gewaltforschung. An der Universität Bielefeld leitet er das Team, das seit zehn Jahren regelmäßig das Ausmaß der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF) in der deutschen Bevölkerung untersucht. Was er herausgefunden hat, ist besorgniserregend, wie er zu Beginn der Podiumsdiskussion „Entwicklungen im Rechtsextremismus“ erklärt. Rechte Einstellungsmuster seien hierzulande in großem Ausmaß vorhanden, sagt er. Es gebe lediglich niemanden, der sie bündelt und politisch zu nutzen versteht.
Könnte ein charismatischer Rechtspopulist tatsächlich auch in Deutschland Erfolge feiern, ähnlich wie Geert Wilders in den Niederlanden? Die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes Claudia Schmid widerspricht: „Ein Kommunikator reicht wahrscheinlich nicht aus.“ Auch sie sieht in der Bevölkerung ein großes rechtspopulistisches Potenzial. Gleichzeitig gebe es aber auch eine hohe Sensibilität im Umgang mit Rechtsextremismus, die aus der deutschen Vergangenheit rühre, wendet die Verfassungsschützerin ein. Ähnlich sieht es auch der Politikprofessor Hans-Gerd Jaschke. Er warnt aber: „Kommt so ein Kommunikator aus der rechten Szene, hat er keine Chance. Wenn sich aber ein Politiker aus der CDU oder SPD völkisch äußert, trifft das auf eine ganz andere Resonanz.“
Der Sinn eines NPD-Verbots ist umstritten
Unterschiedliche Meinungen vertreten die Diskutanten, als sie nach dem Sinn eines NPD-Verbots gefragt werden. „Wären Verbote effektiv, würde das Problem heute gar nicht mehr existieren“, meint Heitmeyer. Anfang der 1990er Jahre habe es schließlich Dutzende Verbote rechter Gruppen gegeben. Es hätten sich aber immer wieder neue gebildet. Auf staatliche Repression würden die Rechtsextremisten zudem innovativ reagieren. Er führt die „Autonomen Nationalisten“ als Beispiel an, die sich in ihrem Kleidungsstil an die linke Szene anlehnen und sich bewusst lose organisieren.
Claudia Schmid sieht das anders: Berlin habe mit dem konsequenten Verbot rechter Kameradschaften wie „Frontbann 24“ gute Erfahrungen gesammelt. Denn diese hätten sich mit niedrigschwelligen Angeboten an Jugendliche gewandt und großen Zulauf bekommen. „Die Verbote haben viele abgeschreckt, da rein zu gehen“, urteilt Schmid. Auch die rechten Innovationen solle man nicht überbewerten. „Viele wollen eben nicht zu den Autonomen Nationalisten, sondern lieber die alten Kameradschaftsstrukturen.“
Gebraucht wird eine Anerkennungskultur in den Schulen
Jaschke schlägt als Rezept gegen Rechts vor, sich noch stärker um die Schulen zu kümmern. „Das ist der Ort, an dem man wirklich alle erreicht“, sagt er. Im Alter zwischen 12 und 14 würden auch „die Würfel fallen, wohin man sich orientiert.“ Die Lehre des Rechtsextremismusexperten aus den Nachrichten über die Zwickauer Terrorzelle NSU: „Wir brauchen nicht mehr Polizei, sondern eine bessere Kooperation.“ Wichtig sei auch gesellschaftliche Prävention durch zivilgesellschaftliche Initiativen.
Heitmeyer hat noch einen weiteren Vorschlag: „Wir brauchen eine Anerkennungskultur, zum Beispiel in den Schulen. Wenn Jugendliche keine Anerkennung erhalten, holen sie sie sich.“ Claudia Schmid verspricht zum Abschluss der Diskussionsrunde, dass ihr Verfassungsschutz alles tun werde, damit es keine weiteren Terroranschläge gibt. Eine Garantie dafür könne es aber nicht geben.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.