Sommerreise von Martin Schulz: Im Osten viel Neues
Florian Gaertner/photothek.net
Die kleine Gruppe ist schon da, als Martin Schulz aus dem Auto steigt. Eine Frau und drei Männer und kurzen Hosen und T-Shirts stehen etwas abseits. Einer hält ein selbstgemaltes Schild hoch. „Ihr seid das Problem, nicht die Lösung“, steht darauf. Ein anderer filmt die Aktion. Am Abend zuvor hat wieder Pegida in Dresden demonstriert. Halsbrücke, wo sich die Szene zuträgt, liegt nur gut 30 Kilometer entfern.
Vom DDR-Betrieb zum Bildungsdienstleister
Kurz darauf ist die Begrüßung deutlich freundlicher. „In den letzten 25 Jahren hatten wir nicht das Gefühl, dass sich die Politik für den ländlichen Raum interessiert. Umso schöner, dass Sie jetzt da sind“, sagt Martin Ferkinghoff, ein Mann im Anzug und mit modischer Brille. Ferkinghoff ist Geschäftsführer der „Saxonia-Bildung“, einer gemeinnützigen Einrichtung der überbetrieblichen Bildung. 16 Berufe vom Elektroniker bis zum Zerspanungsmechaniker werden hier ausgebildet.
„Aus einer maroden DDR-Einrichtung haben wir uns zu einem modernen Bildungsdienstleister entwickelt“, erzählt Ferkinghoff. 150 Auszubildende würden hier neben der Praxis im Betrieb und der Berufsschule ausgbildet, mehr als 90 Prozent fänden direkt im Anschluss einen Arbeitsplatz. Darauf hoffen auch Erik Hofmann und Niklas Däne. Die beiden angehenden Papiertechnologen machen große Augen als sich Martin Schulz zu ihnen an die Werkbank stellt.
„Am 24. September ist die Nuss geknackt.“
Der Kanzlerkandidat erzählt ihnen, wie er während seiner Ausbildung zum Buchhändler selbst einige Wochen in eine Druckerei zugebracht hat. Vor allem aber will Schulz wissen, wie den beiden die Ausbildung gefällt und ob sie die Chance haben, hinterher übernommen zu werden. „Es ist schön, dass er sich so für unseren Beruf interessiert“, sagt Erik Hofmann hinterher. Niklas Däne gefällt, „dass er so auf Augenhöhe mit uns Auszubilden spricht“. Der 17-Jährige ist sich sicher: „Ich würde ihn wählen, wenn ich könnte.“ Sein 19-jähriger Kollege Hofmann will sich dagegen „erstmal alle anschauen“, ehe er eine Entscheidung trifft.
Zum Abschied hat Saxonia-Geschäftsführer Martin Ferkinghoff noch ein Geschenk für den Kandidaten. Die Auszubildenden haben für Schulz einen Nussknacker aus Metall gebaut. Schließlich liege Halsbrücke nah am Erzgebirge, „und Sie haben ja noch einnige Nüsse zu knacken“. Schulz bedankt sich und verspricht: „Am 24. September ist die Nuss geknackt.“
Weiter in die Zukunft investieren
60 Kilometer weiter streikt die Technik. Eigentlich soll der Roboter Martin Schulz ein Plastikteil aus der Hand nehmen, doch er will einfach nicht zugreifen. Kurz vorher als Ingenieur Mohamad Bdiwi denselben Vorgang vorgeführt hatte, um vorzuführen, wie gut die „Mensch-Roboter-Kooperation“ am Fraunhofer Institut in Chemnitz bereits funktioniert, war noch alles glatt gegangen. Nun aber hat das Sicherheitssystem gegriffen und den Roboter ausgeschaltet. Martin Schulz nimmt es mit Humor.
Der Kanzlerkandidat steht in der „Fabrik der Zukunft“, wie ein Transparent an einer Wand der großen, weiß gestrichenen Halle verrät. Die Wissenschaftler arbeiten hier etwa an einem „Baukasten für die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen“ oder an Verfahren, die Produkte mit deutlich weniger Material herstellen sollen. Martin Schulz ist beeindruckt. „Ich fühle mich bestätigt, dass wir stärker in unsere Zukunft investieren müssen“, sagt er nach seinem Besuch. Noch hätten Deutschland und Europa einen technologischen Vosprung. Sich auf dem Erreichten der Vergangenheit auszuruhen, reiche aber nicht aus. „Deshalb fordere ich eine Investitionspflicht des Staates.“
Martin Schulz unter Beobachtung
Um die Verbindung von Gegenwart und Zukunft geht es auch im „Wohnpark Lebenszeit“, einem Mehrgenerationenhaus der AWO in Jena. Neben Tagespflege und Wohnmöglichkeiten für Senioren findet sich auch eine Kita für rund 90 Kinder. Alte und Junge leben aber nicht nebeneinander her, sondern begegnen sich ständig. „Wenn es die Eltern nicht schaffen, holen auch mal einige unserer Bewohner ein Kind aus der Kita ab“, erzählt Frank Albrecht, der Vorstandsvorsitzende der AWO im Kreis Jena-Weimar. Der „Wohnpark Lebenszeit“ sei das einzige Haus dieser Art in Thüringen. Albrecht findet: „So etwas sollte es in ganz Deutschland geben.“
Für Martin Schulz ist das Konzept nichts Neues. Im Frühjahr hat er ein Mehrgenerationenhaus im brandenburgischen Teltow besucht. Das weiß auch Renate Haschke. „Ich habe mal im Internet geguckt, was Sie so treiben“, sagt die Frau mit strengem Kurzhaarschnitt und Brille als sie dem Kanzlerkandidaten mit anderen Bewohnern gegenübersitzt. Schulz hat sein Sakko ausgezogen und einen Kaffee eingeschenkt.
Grill-Meister Martin Schulz
Haschke will aber nicht über generationenübergreifendes Wohnen sprechen. Sie treibt eine ganz andere Frage um. „Warum ist Umweltministerin Barbara Hendricks beim Dieselgipfel so zahm gewesen?“, fragt sie Martin Schulz. Was die Autohersteller trieben, dürfe sich die Politik doch nicht gefallen lassen. „Ich hatte den Eindruck, Barbara Hendricks hat als einzige klare Worte gefunden“, widerspricht ihr Schulz. Ansonsten teile er jedoch ihre Einschätzung. „Da haben ein paar Vorstandsbosse mit hundertausenden Arbeitsplätzen Roulette gespielt“, sagt er. Dass jetzt die Autohersteller für den angerichteten Schaden aufkommen müssten, stehe außer Frage. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.“
Zwei Stunden später und ein Bundesland weiter sendet Martin Schulz Glückwünsche nach Bayern. Der Kanzlerkandidat steht an einem Bistro-Tisch, vor ihm rund 80 Kleingärtner. Der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby hat Schulz in die Kleingartenkolonie „Am Pfarrberg“ vor den Toren Halles eingeladen. Es gibt Bier, Bratwurst und Steak. Am Tag zuvor hat ein Martin Schulz aus Bayern die deutsche Meisterschaft im Grillen erstritten. „Ich gratuliere von hier aus ganz herzlich“, sagt Schulz.
Das Ehrenamt stärken
Über ihn sei ja geschrieben worden, während Angela Merkel in der Airforce One um die Welt fliegt, tingele er über die Grillfeste. „Genauso ist es“, ruft Schulz. „Ich will mich schließlich um die Sorgen der Menschen kümmern.“ Und die gibt es natürlich auch bei den Kleingärtnern in Sachsen-Anhalt. „Die, die sich wie Sie ehrenamtlich engagieren, halten unser Land am Laufen“, lobt Martin Schulz. Gewürdigt würde dieses Engagement allerdings viel zu wenig. „Ich möchte deshalb eine staatliche Betreeung des Ehrenamts sicherstellen“, kündigt Schulz an. „Es darf nicht länger ein Anhängsel in irgendeinem Ministerium sein.“ Dafür gibt es Applaus.
Noch besser als Schulz kommt bei den Kleingärtnern allerdings der örtliche Bundestagsabgeordnete an. „Ich ziehe den Hut vor Karamba Diaby und seiner Leistung den Hut“, sagt Mathias Arndt, der Vorsitzende des Kleingartenvereins. „Ich kannte ihn schon, bevor er SPD-Mitglied geworden ist.“ Die Begeisterung für Diaby mag auch daran liegen, dass der Abgeordnete selbst einen Kleingarten hat und vor vielen Jahren über die Schwermetallbelastung in deutschen Kleingärten promoviert hat.
Über den Besuch der beiden Politiker scheinen jedoch nicht alle begeistert gewesen zu sein. Von zwei Schaukästen, in den für die Veranstaltung geworben worden war, seien die Scheiben eingeschlagen und die Ankündigung herausgerissen worden, erzählt der Vereinsvorsitzende. „Die Versicherung hat mir aber gerade heutge mitgeteilt, dass sie eine Lösung finden wird.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.