So setzen sich Fußballfans gegen Rassismus ein
Mario Basler musste 47 Jahre alt werden, bis ihm auch Applaus von Menschen beschieden war, die ihn bis dato zwar für einen guten Fußballer gehalten hatten, die sich sonst aber mit Lob an seine Adresse eher zurückgehalten hatten. Doch die Ehre, die geistreichste Replik auf die unsäglichen Äußerungen von AFD-Vizechef Alexander Gauland geliefert zu haben, die gebührt zweifelsohne dem 30-fachen Ex-Nationalspieler aus der Pfalz. „Herr Gauland, ich bin zwar nicht Ihr Nachbar“, twitterte er als Replik auf die Äußerungen in der FAS, „aber ich kann Ihnen sagen: Sie haben nicht alle Latten am Zaun.“
Kein Einzelfall: Die Solidarität mit Jérôme Boateng war in der Fußball-Branche denkbar einhellig, zahlreiche Fußballfunktionäre und Mitspieler verurteilten die Äußerungen des AFD-Funktionärs scharf oder persiflierten sie wie Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah, der sich achselzuckend im DFB-Trikot vor seinem Haus ablichten ließ: „War gestern irgendwas mit Jérôme Boateng & Gauland? Hab nix mitbekommen, war den ganzen Tag bei meinen Nachbarn.“
Rasante Entwicklung im deutschen Fußball
Überhaupt hat der deutsche Fußball gesellschaftspolitisch eine beachtliche Entwicklung hinter sich. Was allerdings auch daran liegt, dass er einen beträchtlichen Nachholbedarf hatte. Es ist schließlich noch keine zehn Jahre her, dass mit Gerhard Mayer-Vorfelder ein Mann DFB-Präsident war, der schon mal öffentlich gefragt hatte, was „aus der Bundesliga wird, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und stattdessen diese Polen, die Furtoks und Lesniaks, spielen?“ Heute schult der gleiche DFB seine Mitarbeiter bei der Integration von Flüchtlingen, weist seine Schiedsrichter an, rassistische Schmähungen sofort zu protokollieren und hart zu bestrafen und bedenkt antirassistische Faninitiativen mit Preisen, die zu Mayer-Vorfelders Zeiten noch als linksextreme Verfassungsfeinde verunglimpft worden wären.
Viele Fankurven, scheint es, sind noch einen Schritt weiter als der offizielle Fußball. War es in den späten Achtzigern noch traurige Praxis, dass dunkelhäutige Spieler mit Affengeräuschen oder Bananenwürfen bedacht wurden, sind solche Vorkommnisse in den obersten vier Ligen heute undenkbar. Zudem positionierten sich viele Ultragruppen in den vergangenen Monaten auch politisch sehr deutlich: „Flüchtlinge schützen, Thügida abschieben“, forderte die „Horda azzura“ des Viertligisten FC Carl Zeiss Jena.
Und die führende Ultragruppe des FC Bayern München, die „Schickeria“, hisste beim Heimspiel gegen Bremen ein Transparent mit der Aufschrift: „Die Politik zündelt mit Worten, der Pöbel schmeißt die Mollis hinterher. Erbärmliche Rassisten, wir hassen euch“. Dutzende Ultragruppen luden zudem Flüchtlinge ins Stadion ein, nahmen sie auf Auswärtsfahrten mit, sammelten Spendengelder oder beteiligten sich an der europaweiten Aktion „Second Fan Shirt“, die über Textilspenden zehntausende Euro einbrachte. In diesen Kreisen gilt Gauland als reaktionäres Fossil. Bestenfalls.
Hooligans produzieren sich als politischer Akteur
Um nicht missverstanden zu werden: In einigen Fanszenen terrorisieren kampfsporterprobte rechte Schläger Fans, die „Refugees welcome-“Shirts tragen oder sich gegen Homophobie aussprechen. Und die Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa), ein Zusammenschluss meist älterer Herren, die dem Klima in den Achtzigern nachtrauerten, konnte noch im Oktober 2014 rund 4500 Menschen zu einer Demonstration nach Köln mobilisieren, die in schwerer Randale endete. An seinem Hauptziel ist allerdings auch HoGeSa gescheitert: Der Anschluss an die Mitte der Gesellschaft („Die Omis müssen uns liebhaben“) wurde glänzend verfehlt. Gescheitert ist auch der Versuch, einen reaktionären Roll-Back in den Fanszenen zu erreichen.
Fernab der Stadien produzieren sich die rechten Hooligans dafür mehr denn je auch als politischer Akteur. Wer sich den Ordnerdienst bei „Pegida“-Demonstrationen in Dresden genauer ansah, traf dort die gleiche Szene an, die auch an vorderster Front bei den Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in Freital und Heidenau auszumachen war. Wer die interne Kommunikation dieser rechten Hooligans kennt, weiß: Was Gauland sagte, hätten sie selbst nicht besser ausdrücken können.
44, ist freier Journalist und Buchautor aus Karlsruhe, schreibt für Spiegel Online und diverse Zeitungen (SZ, taz, FR, etc.) über Rechtsextremismus und Fankultur. Zuletzt erschien von ihm „Kurvenrebellen – die Ultras. Einblicke in eine widersprüchliche Szene.“ (Werkstatt-Verlag) und „Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu.“ (Beck`sche Reihe)