Inland

So kommentieren die Medien die Koalitionsentscheidung des SPD-Parteitags

Viele Medien – besonders aus dem europäischen Ausland – bewerten den Beschluss des SPD-Parteitags zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union positiv. Doch sie halten der Partei auch den Spiegel vor und zeigen auf, was sich künftig ändern muss, wenn die SPD als Volkspartei bestehen will.
von Lars Haferkamp · 22. Januar 2018
SPD-Chef Martin Schulz spricht zum Parteitag in Bonn.
SPD-Chef Martin Schulz spricht zum Parteitag in Bonn.

Frankfurter Rundschau: Die Gegner sind nicht Schulz und Merkel sondern die Rechtspopulisten
„Bei manch einem aktuellen Beitrag hatte man den Eindruck, dass der einst gefeierte Parteivorsitzende inzwischen ein Kontrahent ist. Der politische Gegner heißt aber nicht Martin Schulz, nicht mal zuallererst Angela Merkel – so sehr man sie für ihre Politik und ihren Stil kritisieren mag. Die politische Gefahr ist der Rechtspopulismus, das Erstarken von Nationalismus und Rassismus.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Hat die SPD verstanden, warum sich SPD-Hochburgen in AfD-Hochburgen verwandelt haben?
Symptomatisch war, dass die SPD einen großzügigen Familiennachzug für alle Flüchtlinge fordert und gleichzeitig aus dem stärksten Landesverband, dem nordrhein-westfälischen, zwecks Neuorientierung und zwecks Lebensnähe dazu aufgerufen wird, die Kommunalpolitiker in die Mitte der Partei zu rücken. Da müssen sich ehemalige SPD-Wähler, zumal die in Nordrhein-Westfalen, fragen: Hat die SPD-Führung wirklich verstanden, warum sich SPD-Hochburgen über Nacht in AfD-Hochburgen verwandelt haben?“

Süddeutsche Zeitung: Mit neuen Wünschen quält sich die SPD noch ein bisschen weiter
„Die Sozialdemokraten sind einen Schritt nach vorne gegangen und einen halben zur Seite. Sie haben sich gequält, aber nicht versäumt, mit neuen Wünschen die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Quälerei auch noch ein bisschen weiter geht. So ist sie, die SPD.“

Freie Presse: Wer ständig über die eigenen Defizite spricht, braucht sich nicht zu wundern
„Die SPD sollte die Chance ergreifen zu regieren und dabei aus alten Fehlern lernen. Wer etwa ständig über die eigenen Defizite spricht und darüber, was alles nicht erreicht wurde, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Erfolge der Union zugerechnet werden.“

Cellesche Zeitung: Die SPD geht mit einem strategischen Vorteil in die Koalitionsgespräche
„Während die CSU mit Blick auf die Wahlen in Bayern darauf pocht, keine weiteren Zugeständnisse an die SPD zu machen, weiß Angela Merkel, dass ihr Schicksal in den Händen von mehr als 440.000 Genossen liegt. Senken diese am Ende den Daumen, bliebe eine Minderheitsregierung ihre einzige Machtoption. Insofern gehen die Sozialdemokraten mit einem strategischen Vorteil in die nächste Runde.“

Badische Neueste Nachrichten: Das Verhältnis von Parteiführung und Basis ist belastet
„Trotz eines Trommelfeuers aus staatspolitischen, parteipolitischen, sachlichen und emotionalen Motiven, trotz eines unisono von der Parteiführung getragenen Beschlusses verweigern die Delegierten ein deutlicheres Votum. Das belastet. Es belastet das Verhältnis von Parteiführung und Basis.“

Kölner Stadt-Anzeiger: Die SPD braucht erst einmal eine Idee
„Die SPD muss endlich plausible Antworten auf die grundsätzlichen Fragen finden, altmodische Begriffe wie Daseinsvorsorge und Gemeinwohl mit neuen Inhalten füllen. Wir dürfen das nicht wieder verschlafen, hat der Parteichef den Delegierten zugerufen. Die Partei müsse Ideen- und Taktgeber für die Regierung sein. Dazu muss sie aber erst einmal eine Idee haben.“

Mitteldeutsche Zeitung: Die Union muss die SPD nun mit Vorsicht behandeln
„Die SPD geht damit zwar als zerrissene Partei in die Koalitionsverhandlungen, aber auch mit einem taktischen Vorteil: Die Union hat kein Interesse an einer Neuwahl (von einzelnen Glücksrittern mal abgesehen). Sie muss die SPD also nun mit Vorsicht behandeln, wenn es funktionieren soll.“

Die Tageszeitung: SPD-Politiker sprechen Sprache aus Gesetzesbüchern, nicht aus dem Alltag
„Ihre Politiker sprechen über Vorhaben, die den Alltag betreffen, so sperrig, als hätten sie mit Gesetzbüchern das Lesen gelernt: Parität, Kooperationsverbot, sachgrundlose Befristung. Wie graugesichtig die Partei ist, zeigt sich auch daran, dass der dynamische Juso-Chef Kevin Kühnert so hervorstach.“

El Mundo (Spanien): Die Entscheidung der SPD lässt Europa aufatmen
„Wir wissen, dass die europäische Lokomotive mit voller Leistung fahren muss, damit alle Waggons der EU gut laufen können. Deshalb lässt die gestrige Entscheidung des SPD-Parteitages aufatmen. Auch politisch ist es wichtig, dass Deutschland so schnell wie möglich eine starke Regierung bekommt, die die Große Koalition garantieren würde“

El País (Spanien): Eine gute Nachricht für die EU
„Dies ist eine gute Nachricht, die Stabilität für den Motor der EU verspricht, in einem Moment, in dem dieser so komplizierte Dinge wie den Brexit und die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion angehen muss.“

La Repubblica (Italien): Parteitag stimmt für Zukunft Europas
„Nach einem schwierigen Tag (...) ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die 600 Delegierten für die Zukunft Europas gestimmt haben.“

Corriere della Sera (Italien): Dramatische Spannung und politische Leidenschaft
„Der D-Day der Sozialdemokraten hat die Erwartungen zumindest in Hinblick auf die dramatische Spannung und die politische Leidenschaft nicht enttäuscht.“

Trouw (Niederlande): SPD hat viele Ziele erreicht
„Die SPD hat recht viele ihrer Wahlkampfziele in der Sondierungsvereinbarung unterbringen können. Wenn man dann doch nicht regieren will, würden die Wähler einen für verrückt erklären.“

NRC Handelsblad (Niederlande): Es wird Zeit, dass in Berlin wieder regiert wird
„Das positive Ergebnis des SPD-Parteitages passt zur allgemeinen Stimmung - auch außerhalb Deutschlands -, wonach es langsam Zeit wird, dass in Berlin wieder jemand regiert. Immer wieder eine Neuwahl zu organisieren, bis einem das Resultat gefällt, ist nun einmal keine Option.“

Der Standard (Österreich): Ein sehr spannender Parteitag mit offenem Ausgang
„Da sage noch mal einer, Politik sei eine langweilige, weil ohnehin abgekartete Sache. Mitnichten. Der SPD-Parteitag hat den Beweis geliefert.“

Tages-Anzeiger (Schweiz): Personelle und programmatische Erneuerung ist dringend nötig
„Am Ende setzte sich zwar die pragmatische Vernunft gegen die ewige Sehnsucht der Partei nach Opposition durch. Trotzdem muss die Partei die Warnungen der vielen Neinsager nun bitter ernst nehmen: Wenn sich die SPD in den nächsten Jahren nicht personell und programmatisch erheblich erneuert, ist ihre Existenz als Volkspartei der linken Mitte tatsächlich in Gefahr.“

 

 

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