Inland

So diskutiert die SPD die neue Arbeitswelt nach Corona

Es geht nicht nur um das Recht auf Homeoffice, es geht auch um soziale Absicherung, Demokratie in den Betrieben und Geschlechtergleichheit: Die SPD-Spitze sammelt Ideen für eine Arbeitswelt nach Corona und für ihr Wahlprogramm.
von Vera Rosigkeit · 27. Mai 2020

Wie geht es weiter mit den in der Krise systemrelevant gewordenen Berufen? Wie mit dem Homeoffice, das scheinbar zu einem Rollback im Geschlechterverhältnis führt? Wie verändert sich das Machtverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern? Und was wird aus der sozialen Absicherung in Zeiten der digitalen Transformation?

Diese Fragen diskutiert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gemeinsam mit Partei-Vize Hubertus Heil und Expert*innen am Mittwoch auf der zweiten „In die neue Zeit“-Onlinekonferenz. Es geht um neue Impulse für das Wahlprogramm der SPD. Und um Zukunftsfragen, die sich auch aus der Corona-Krise ergeben, denn Corona wirke wie ein Brennglas, ­­­­­­­­sagt Klingbeil, auch beim Thema Arbeitswelten.

Bessere Arbeitswelt für viele

Gleich zu Beginn macht Heil in seiner Rolle als Arbeitsminister klar, dass der Applaus für systemrelevante Berufe während der Krise sich auch finanziell niederschlagen müsse. Dabei denke er nicht in erster Linie an Mindestlöhne, sondern viel mehr an Tarifverträge. Ziel müsse sein, eine bessere Arbeitswelt für möglichst viele Menschen zu erreichen. Dazu zähle auch das Recht auf Homeoffice.

Stichwort für die Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog, die für die Zukunft der Arbeitswelt vor allem mehr Demokratie in den Arbeitsverhältnissen fordert. Die Macht liege zu sehr bei den Arbeitgebern, kritisiert sie, Mitbestimmung stünde häufig nur auf dem Papier.

Der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit sei auch in der neuen Arbeitswelt nicht aufgehoben, räumt Heil ein. Verhandlungsgleichheit sei wichtig. „Wir müssen betriebliche Aushandlungsprozesse stärken“, betont er.

Homeoffice ist nicht alles

Direkte Beteiligung in den Unternehmen einfordern, will auch Lisa Boßmann von der IG BCE Landesbezirk Nordrhein. Denn gute Ideen der Beschäftigten würden oft nicht umgesetzt. Homeoffice ist nicht alles, sagt auch Oliver Burkhard, Personalvorstand der Thyssenkrupp AG. Für ihn ist die Gestaltung von Arbeit immer ein Verhandlungsprozess. „Dazu brauche ich mündige Mitarbeiter“, so Burkhard.

Der Ökonom Nikolas Kowall greift den Faden auf und liefert direkte Ideen für ein Wahlprogramm der SPD. Seiner Meinung nach schaffe die Krise durch Corona eine große Chance für Arbeitnehmer-bewegte Parteien, sich zu profilieren.

Ob Skandal in der Fleischindustrie oder systemrelevante Berufe, ob Erntehelfer, Pflegekräfte oder Beschäftigte bei Amazon und Zalando – hier handele es sich um klassisches sozialdemokratisches Kernklientel, sagt er. Die einen seien die Wanderarbeiter dieser Zeit, so Kowall. Die anderen, Beschäftigte von digitalen Anbietern, gänzlich ohne Tarifverträge. Sein Rat: diesen Kerngruppen mehr Aufmerksamkeit geben als den Homeoffice-Fragen, denn bei letzteren stünde man mit anderen Parteien in Konkurrenz.

Corona und Gechlechterfragen

Trotzdem bleibt das Thema Homeoffice im Gespräch, vielmehr das damit verbundene Thema der Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitsminister Heil möchte Homeoffice nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit etablieren, allerdings müsse der Arbeitsschutz geklärt sein. Ungeklärt sei die Frage, ob es beim Homeoffice Unterschiede zwischen den Geschlechtern gebe. Heil fragt: „Ist es so, wie Jutta Allmendinger befürchtet, dass Corona einen Rollback bei der Gleichberechtigung nach sich zieht?“ Seine Antwort: „In diesem Fall müssen wir auf der richtigen Seite stehen.“

Lisa Herzog kommentiert, dass es für den Gender Gap staatliche Anreize gebe und verweist auf das Ehegattensplitting: „Es gibt in Deutschland noch sehr viele Anreize für große Karriere für ihn, kleine Karriere für sie“, sagt sei.

Dass Frauen, die weniger arbeiten, mit dem Ehegattensplitting belohnt werden, hält auch Lisi Maier vom Deutschen Bundesjugendring (DBJR) für problematisch. Auch bei der Führungskräftesituation müsse man etwas tun. An den Universitäten oder als Staat könne man da mit gutem Beispiel vorangehen.

Prekäre Arbeit als Signal

Es geht im weiteren Gespräch um die Ausgestaltung der Mitbestimmung 4.0. Thymian Bussemer vom Volkswagen Konzern rät davon ab, die Betriebsverfassung zu ändern. Das könnte jahrelange Diskussionen um das Schleifen von Arbeitnehmer*innenrechten mit BDI und BDA nachsichziehen, fürchtet er. Heil wiederum erinnert daran, dass der Qualifizierung in Zeiten der Digitalisierung  eine Schlüsselfrage zukomme und verweist auf das Arbeit-von-morgen-Gesetz und das Thema soziale Absicherung. Hier hatte Lisi Maier eingangs darauf hingewiesen, dass gerade junge Menschen sich geregelte Arbeitszeiten und einen unbefristeten Arbeitsplatz wünschen. 

Dass traditionelle Absicherungsinstrumente für die Zukunft taugen, bestätigt auch Kowall. Er wagt einen weiteren Vorstoß in Richtung Wahlprogram: Es gebe einen wachsenden Bevölkerungsanteil, der nicht mehr der Mittelschicht angehöre, sagt er. Für diese prekär Beschäftigten brauche es traditionelle Absicherungsinstrumente. Die SPD sollte diesen ein Angebot machen, das etwas stärker leuchte als das Mittelstandsprogramm.

EU-Ratspräsidentschaft

Heil will die „vulnerable Gruppe“ auf die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli setzen. Veränderungen, sagt er, ließen sich nur durch eine Empörung über die Verhältnisse in der Mitte der Gesellschaft herbeiführen. Als Beispiel nannte er den Skandal in der Fleischindustrie. Heil: „Es gibt Menschen, die nicht prekär arbeiten, aber prekäre Arbeit ablehnen.“

Aufgabe der Partei sei, strukturelle Konsequenzen zu ziehen aus den Dingen, die durch Corona offensichtlich geworden sind, lautet Klingbeils Resümee. Beispielsweise gebe es mit „#stattblumen gerade eine tolle Initiative, die das aufgreift und wo vor allem junge Frauen dran teilnehmen". Aber, so Klingbeil, „es gibt halt auch die anderen..“

Am 15. Juni werden Lars Kingbeil und Partei-Vize Anke Rehlinger mit ausgewählten Expert*innen in einer dritten „In die neue Zeit“-Onlinekonferenz über Innovationskulturen diskutieren.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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