Im April 2013 stürzte das achtgeschossige Fabrik-Hochhaus Rana Plaza in Bangladesch ein, in welchem mehrere internationale Textil-Firmen produzierten. Die ehemalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul fordert, dass Kernarbeitsnormen und Sozialstandards weltweit durchgesetzt werden.
Jetzt ist es gerade ein Jahr her, dass sich diese vorhersehbare Katastrophe ereignet hat. Das Hochhaus zermalmte und begrub unter sich über 1000 Textilarbeiterinnen, die am Tag zuvor von ihren Chefs trotz Warnungen vor einer Katastrophe noch in die Fabrik gejagt worden waren. Die Weltöffentlichkeit reagierte erschüttert. Für viele Menschen wurde zum ersten Mal spürbar, wie derartige neue Produktions- und Lieferketten uns durch die Kleidung, die wir in unseren Ländern tragen, mit ausbeuterischen Lohn- und Arbeitsbedingungen von Menschen in den Ländern des globalen Südens verbinden.
Für mich – wie für viele – gilt: Wir wollen alles tun, damit derartige Katastrophen nicht mehr passieren können. Noch immer, darauf weist Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsvereinigung „Femnet“ hin, haben aber nur acht Unternehmen in einen von der Internationalen Arbeitsorganisation durchgesetzten und geleiteten Fond zur Entschädigung von Familien, Angehörigen und Verletzten des Rana Plaza Unglücks eingezahlt!
Arbeitsgebäude besser schützen
Einiges ist zwischenzeitlich allerdings geschehen: Vorwiegend europäische Unternehmen, darunter 46 in Deutschland, sind einem Gebäude- und Brandschutzabkommen, dem ACCORD, beigetreten, das wichtige Standards sichern will. Aber, wir müssen auf weitere Veränderungen und mehr Transparenz, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit drängen.
Ich engagiere mich deshalb mit fortschrittlichen Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Gewerkschaftern für eine neue Initiative: Die „Garment Industries Transparency Initiative“, kurz GITI.
Es geht darum, eine globale „Multi-Stakeholder“-Initiative zu schaffen, deren Ziele es sind, die Kernarbeitsnormen und Sozialstandards der Internationalen Arbeitsorganisation zu verwirklichen. Dies umfasst u.a. das Recht auf einen existenzsichernden Lohn („living wage“), das Recht auf sichere Arbeitsbedingungen und verlässliche Arbeitsverhältnisse und vor allem das Recht auf unabhängige Gewerkschaften und ihren ungehinderten Zugang zu den entsprechenden Unternehmen in ihrem jeweiligen Land. Dabei sollten alle Beteiligten sich zu umfassender Transparenz verpflichten: die Bekleidungsunternehmen in den westlichen Industrieländern, die in den Entwicklungs- und Schwellenländern produzieren lassen bzw. einkaufen, die heimischen Produzenten in diesen Ländern und die Regierungsvertreter der beteiligten Länder.
Was tun sie zum Beispiel, damit das Recht auf Koalitionsfreiheit und Freiheit der Arbeit der Gewerkschaften wirklich umgesetzt wird? Wie sorgen sie dafür, dass Sicherheitsstandards in den Fabriken kontrolliert werden und Kontrolleure ihre Arbeit unabhängig und qualifiziert leisten können und korrupte Praktiken dabei unterbunden werden?
Und vor allem sollte die Zivilgesellschaft aktiv beteiligt sein. Sie leistet schon bisher beispielhafte Arbeit, so z.B. die Clean Clothes Campaign oder die Ethical Trading Initiative.
Die „Garment Industries Transparency Initiative“ eine Initiative für Transparenz in der Bekleidungsindustrie, für die ich mich „engagiere“, hat damit zum Ziel, diejenigen auf internationaler Ebene zusammenzubringen, die vorangehen wollen. Danach würden in den jeweiligen Ländern nationale Initiativen aller Beteiligten in Gang gesetzt, deren Ziel die Umsetzung dieser neuen Idee ist.
Niedrig-Löhne anheben
Der große Vorteil bei einer derartigen Vorgehensweise: Wir wollen Veränderungen in allen Ländern bewirken, in denen die Bekleidungsunternehmen produzieren, damit nicht ein Land gegen das andere ausgespielt wird.
Dieser Prozess kann unter anderem dazu beitragen, dass Verbraucher und Verbraucherinnen in unseren Ländern nachvollziehen können, dass selbst die Verdoppelung und Verdreifachung der Niedrig-Löhne in den textilproduzierenden Unternehmen nur eine geringfügige Steigerung des Kaufpreises zur Folge hätte!
Aber: Wer die zermalmten und zerschmetterten Körper der Opfer von Rana Plaza vor Augen hat und sie nicht verdrängt, wird sich immer sagen: Ich will alles tun, auch in meinem Einkaufsverhalten, dass anderswo Menschen für mich nicht Sklavenarbeit leisten!
war von 1974 bis 1977 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jusos und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied im Vorstand des Willy-Brandt-Kreises.