Sinti und Roma: „Wir sind da! Gebt uns unser Recht!“
„Keine Lust“ mehr habe sie, sagt Nizaqete Bislimi, immer wieder als Beispiel „gelungener Integration“ herhalten zu müssen. Die Rechtsanwältin wurde im Kosovo geboren, war als Kind auf der Flucht und hat in Deutschland jahrelang ihre Herkunft geheim gehalten – aus Angst vor rassistischer Diskriminierung. Jetzt sitzt sie mit „Bauchschmerzen“, wie sie sagt, vor einer Gruppe Journalisten in Berlin und zieht Bilanz: „Viel ist passiert im letzten Jahr, aber nichts Gutes“, so Bislimi am Montag mit Hinblick auf die Situation der Roma und Sinti in Europa.
„Ist nicht die NATO im Kosovo stationiert?“
Die von der großen Koalition beschlossenen Änderungen im Asylrecht empfindet Nizaqete Bislimi als eine „Katastrophe“ für Sinti und Roma. Wie passe es zusammen, fragt die Expertin für Ausländerrecht, dass das Kosovo von der Bundesregierung als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werde, während sich bis heute NATO-Truppen in dem Land befänden. Sinti und Roma seien in dem kleinen Balkanstaat massiver Diskriminierung ausgesetzt, sie hätten kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Bildung.
Die Verschärfung des Asylrechts habe nach Bislimi zur Folge, dass „keine wirkliche Prüfung“ der Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo, Bosnien, Serbien und Mazedonien geschehe, obwohl viele Sinti und Roma wegen „existenzbedrohender Ausgrenzung“ aus diesen Ländern flüchteten. Der Rechtsschutz dieser Menschen sei „beschnitten“, so die Juristin. Vor allem die CSU-Pläne für eine Sonderbehandlung der Migranten vom Balkan stoßen bei Bislimi und ihren Mitstreitern auf Empörung: „Wie kann es sein, dass man Roma in ein Lager steckt?“ fragt die Aktivistin.
Deutschlands historische Verantwortung
Auch Uwe Neumärker von der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ verweist darauf, dass die Bundesrepublik aus historischen Gründen in „besonderer Art und Weise“ verpflichtet sei, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren. „Es geht einfach um Menschenrechte“, findet Neumärker.
Das Problem des Antiziganismus, dem Hass auf Sinti und Roma, sei in Deutschland lange „verschwiegen“ und „ignoriert“ worden, sagt Neumärker. Medien und Politik hätten die Stimmungsmache gegen die ethnischen Minderheiten noch mit angefacht, wenn sie Begriffe wie „Asylmissbrauch“ und „Romaflut“ verwendeten. Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin sei vor einigen Monaten sogar mit Hakenkreuzen beschmiert worden – dazu die Parole „Vergasen“. Umso wichtiger sei es, sagt Neumärker, dass die neue Kampagne gegen Antiziganismus keine „Eintagsfliege“ bleibe.
Solidarität mit den Sinti und Roma
Dafür hat sich ein breites Bündnis aus 25 Organisationen gegründet, von Amnesty International bis zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Mit dabei ist auch der Ex-Fußballprofi Arne Friedrich, der sich mit seiner Stiftung für Bildung und Chancengleichheit einsetzt. Das Bündnis fordert eine klare Verurteilung des Antiziganismus durch die Politik, die Bekämpfung romafeindlicher Denkmuster in der Gesellschaft sowie die Würdigung des Beitrags der Sinti und Roma an den Kulturen Europas.
Sinti und Roma sind mit rund zwölf Millionen Menschen die größte Minderheit in Europa. Juristisch zählen sie in der Bundesrepublik neben den Sorben, Dänen und Friesen zu den „nationalen Minderheiten“. Trotzdem sei die Gesellschaft kaum bereit, diese Menschen als gleichwertige Bürger anzuerkennen, klagt das Bündnis gegen Antiziganismus. Dies müsse sich dringend ändern, findet Nizaqete Bislimi: „Wir sind da! Nehmt uns verdammt noch mal wahr! Und gebt uns unser Recht!“ lautet der Appell der Juristin an die deutsche Öffentlichkeit.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.