Inland

Sexueller Missbrauch: Kassen sollen für Prävention zahlen

Ab 2017 soll das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ von den Krankenkassen finanziert werden. Das Projekt hilft pädophilen Menschen ihre Neigung zu kontrollieren – und leistet im Bereich der Forschung Pionierarbeit.
von Peter Schraeder · 26. Oktober 2016
"Kein Täter werden"
"Kein Täter werden"

Wie kann der sexuelle Missbrauch an Kindern verhindert werden? Klaus Beier, Psychotherapeut und Sprecher von „Kein Täter werden“, hat eine klare Antwort: durch Täterprävention. Nicht alle Männer, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, begehen irgendwann automatisch eine Straftat, doch ein Großteil hat bereits sexuellen Missbrauch begangen. Das kann mit einer Therapie und Medikamenten verhindert werden – wenn es ein entsprechendes Angebot gibt.

Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“, gegründet an der Berliner Charité, hat sich diese Sexualtherapie zur Aufgabe gemacht. Die deutschlandweit elf Standorte werden bisher vom Bundesjustizministerium finanziert, doch die Förderung läuft diese Jahr aus. Das Bundesgesundheitsministerium bereitete nun eine Gesetzesänderung vor, die ab 2017 die gesetzlichen Krankenkassen in die Pflicht nimmt: Jährlich sollen sie die Therapie für Pädophile mit fünf Millionen Euro finanzieren. Der Bundestag wird frühestens im November über das Gesetz abstimmen. Für 2017 übernimmt der Berliner Senat mit 570.000 Euro die Zwischenfinanzierung des Projekts.

Kostenlose Therapieangebote

Ziel des Netzwerkes ist es, Pädophilie wissenschaftlich zu erforschen und zu therapieren. Pädophile müssen massive Stigmatisierungen und soziale Isolation fürchten, sobald ihre Veranlagung öffentlich wird. Damit sie sich Hilfe suchen, müssen die Hürden für den ersten Kontakt möglichst niedrig sein. Bei „Kein Täter werden“ reicht ein Anruf oder eine Mail, die anonymisiert wird. Das Therapieangebot ist kostenlos; die behandelnden Sexualtherapeuten stehen unter Schweigepflicht.

Studien zeigen, dass rund ein Prozent aller Männer pädophil sind. Bei Frauen kommt Pädophilie nur äußerst selten vor. Kinder werden nicht ausschließlich von Pädophilen missbraucht: Sehr häufig handelt es sich beim sexuellen Missbrauch von Kindern um sogenannte „Ersatzhandlungen“ – die Täter sind nicht pädophil, sondern haben andere psychische Probleme. Die Zahl der Opfer von Pädophilen ist schwer zu ermitteln, ein Großteil der Übergriffe wird nicht gemeldet. Schätzungsweise werden drei Prozent aller Männer und neun Prozent aller Frauen als Kinder sexuell missbraucht.

Pädophilie ist behandelbar

„Pädophilie ist eine Diagnose, kein Verbrechen“, meint Klaus Beier. Sie sei nicht heilbar, aber behandelbar. Beier will erreichen, dass Pädophilie als sexuelle Orientierung verstanden wird – die unter keinen Umständen ausgelebt werden darf. Die Auswertung der Forschungsergebnisse bestätigt, dass mit der Therapie tatsächlich eine Verhaltenskontrolle aufgebaut werden kann.

Im gesamten Bundesgebiet haben sich bisher rund 7.000 Menschen an das Präventionsnetzwerk gewandt. 1.264 von ihnen konnte ein Therapieangebot gemacht werden. 659 Teilnehmer haben die Therapie begonnen und 251 erfolgreich abgeschlossen. Der Rest befindet sich noch in Behandlung oder hat sie abgebrochen. Die Wissenschaftler haben auch die Rückfallquote überprüft: Fünf von 53 Getesteten haben nach der Therapie wieder einen Übergriff begangen. Das sind weniger als in der Vergleichsgruppe Nicht-Therapierter. „Aber wir wollen die Zahl weiter senken“, so Beier.

Pionierarbeit in der Pädophilieforschung

Angesichts der Hunderttausenden, die pädophil sind, scheinen sich die Ergebnisse des Projekts eher bescheiden auszunehmen. Allerdings stand dem Netzwerk bisher nur eine Summe von rund 1,3 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung – die geplanten fünf Millionen der Krankenkassen bedeuten also eine erhebliche finanzielle Steigerung.

Zudem würden die Wissenschaftler des Projekts Pionierarbeit leisten, wie Uwe Hartmann, Sprecher des Netzwerkes, erklärt. „Wir haben inzwischen die weltweit größte Datenlage und stehen in der Pädophilieforschung international an der Spitze“, so Hartmann. Wichtig sei allerdings, nicht nur Forschung und Therapie zu finanzieren, sondern auch die Öffentlichkeitsarbeit. „Wenn wir die Menschen nicht erreichen, funktioniert es nicht“, sagt Hartmann.

Kampf gegen Kinderpornografie ist unabdingbar

Neben der Therapie gibt es weitere Möglichkeiten, um den Missbrauch von Kindern zu verhindern. Kinderpornografie – Beier spricht von Missbrauchsabbildungen – sei über das Internet jederzeit verfügbar. „Dem muss international Einhalt geboten werden“, fordert Beier. Zudem wäre es sehr nützlich, wenn es Medikamente gebe, die den Sexualtrieb sehr kurzfristig unterdrücken. Bisher plant die Pharmaindustrie aber kein solches Medikament.

Dafür gibt es in der Neurobiologie Fortschritte. Künftig könnte anhand der Hirnaktivität festgestellt werden, ob ein Mensch pädophil ist. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen, doch „recht belastbar“, sagt Beier. „Das heißt aber nicht, dass wir dadurch feststellen können, ob ein Mensch zum Täter wird.“ Künftig müsse erforscht werden, wie die Impulskontrolle vom Gehirn gesteuert wird.

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Autor*in
Peter Schraeder

studiert Public History an der Fu Berlin.

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