Sexualstrafrecht: Was ein „Nein heißt Nein“ in der Praxis bedeutet
Frau Hörnle, was bedeutet „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht?
Künftig ist es bereits strafbar, wenn der Täter sexuelle Handlungen am Opfer gegen dessen „erkennbaren Willen“ ausübt.
Und das ist neu?
Ja. Bisher war für die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung erforderlich, dass der Täter das Opfer entweder mit Gewalt oder mit schweren Drohungen oder durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage dazu brachte, sexuelle Handlungen zu dulden.
Die entscheidende Frage ist künftig also, was war der „erkennbare Wille“ des Opfers?
Ja.
Es genügt, wenn die Frau zu sexuellen Handlungen „Nein“ sagt?
Ja. Auf den Wortlaut kommt es aber nicht an. Es kann auch ein „Hör auf“ sein oder „Lass das“. Es muss aber eindeutig sein. Ein schlecht gelauntes „Muss das sein?“ genügt nicht.
Ein Wille kann aber auch dann erkennbar sein, wenn nichts gesagt wird?
Ja. Es genügt, wenn der Wille klar zum Ausdruck kommt. Allerdings reicht das innerliche Empfinden nicht, wenn es nicht erkennbar ist.
Wie kann ein Nein zum Ausdruck kommen, ohne dass gesprochen wird?
Zum Beispiel durch Kopfschütteln oder Weinen.
Genügt auch ein lustloser Gesichtsausdruck?
Nein, auch unausgesprochene Signale müssen eindeutig sein.
Sehen Sie eine Beziehung als rechtsfreien Raum?
Natürlich nicht. Es war ein wichtiger Schritt, dass seit den 1990er-Jahren auch die Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Aber das von Ihnen geschilderte Verhalten ist damit ja wohl nicht zu vergleichen.
Was ist nun die Bedeutung der bevorstehenden Reform? Wird es mehr Verurteilungen geben?
Es gibt jährlich nur eine kleine Zahl von Fällen, bei denen die Beweislage gut ist, aber die Rechtslage eine Verurteilung verhinderte. Meist scheitert die Verurteilung wegen Sexualdelikten bisher an der Beweisbarkeit. Das wird so bleiben. Es kommt aber auch nicht darauf an, wieviele zusätzliche Verurteilungen es gibt.
Worauf dann?
Dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht erstmals konsequent im Strafgesetzbuch umgesetzt wird. Dass ein Nein zu sexuellen Handlungen endlich rechtlich ernst genommen wird. Das wird noch in Jahrzehnten als historischer Moment anerkannt werden.
Kritiker befürchten, dass es künftig zu mehr Falschbeschuldigungen kommt. Sie auch?
Nein. Wer jemand eine Vergewaltigung anhängen will, konnte das auch bisher tun. Bei Sexualdelikten sind meist nur zwei Menschen zugegen. Es steht also Aussage gegen Aussage. Letztlich kommt es immer auf die Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Aussagen an. Ich sehe deshalb keine neuen Gefahren durch die Reform. Und natürlich gilt auch in Zukunft der Satz „Im Zweifel für den Angeklagten“.
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