Inland

Schweigt nicht!

von Matthias Küntzel · 3. Dezember 2012

Erstmals wird in Deutschland zum Mord an einem Künstler aufgerufen. Und was passiert? Die Politiker – auch der SPD! – schweigen.

Die SPD wird 150 Jahre alt. Stolz wird sich die Partei in den kommenden Monaten auf ihre Wurzeln als Vorkämpferin für die Meinungs- und Pressefreiheit besinnen. Doch was ist davon geblieben?

Nehmen wir das Beispiel des 31-jährigen Dichters und Sängers Shahin Najafi aus dem Iran. Die oppositionelle Jugend liebt seine satirischen Lieder gegen das Regime. Die Antwort der Tugendwächter: Hundert Peitschenhiebe und drei Jahre Haft. Najafi konnte rechtzeitig nach Köln fliehen, machte weiter und vergrößerte nicht nur seine Fangemeinde, sondern auch den Zorn der Ajatollahs. Im Sommer 2012 erließen sie eine Todesfatwa und setzten für Najafis Ermordung ein Kopfgeld von 100 000 Dollar aus. Seither kursiert im Internet ein Spiel, in dem man Najafi virtuell erschießen kann.

Erstmals wird zu einem Mord in Deutschland öffentlich aufgerufen, erstmals muss sich ein Künstler in Deutschland Tag und Nacht verstecken – und was passiert? Weist die Bundesregierung die Morddrohung öffentlich zurück? Zeigen sich die Prominenten aus Politik und Kultur demonstrativ an Najafis Seite? Mitnichten. Nach Bekanntwerden des Mordaufrufs empfahlen die zuständigen Stellen dem Sänger, Deutschland zu verlassen, da hier für seinen Schutz nicht gesorgt werden könne. „Dies finden wir ungeheuerlich“, erklärten hierzu die SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer und Angelika Graf im Juni 2012.

Das ist ungeheuerlich. Inzwischen wurden zwar Polizeibeamte abgestellt. Gleichwohl müssen wir uns fragen, warum sich bis heute kein einziges höheres SPD-Gremium schützend vor Najafi gestellt hat; warum seit der Erklärung von Strässer und Graf kein einziger SPD-Politiker die Todesfatwa kritisiert hat, warum die SPD-Basis schweigt.
Als das Regime 1989 seine Todesfatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie erließ, bezeichnete die SPD diesen Mordaufruf als „Kriegserklärung“ und machte klar: „Der freiheitliche Geist unserer Verfassung erlaubt kein Zurückweichen vor solchen Drohungen.“

Dies gilt auch im Fall des Sängers: Im Aufruf, Najafi zu töten, steckt das Ansinnen Teherans, die Freiheit allgemein zu töten.

Najafi traf die mutige Entscheidung, nicht zurückzuweichen und macht derzeit in den USA, was ihm hier bislang nicht möglich war: eine Konzertreihe unter besonderem Schutz mit dem Titel „Alive!“. Fürs Frühjahr 2013 kündigt Günter Wallraff, der sich bislang als einziger Prominenter solidarisch engagiert, ein Najafi-Konzert und ein Buch von Najafi auch in Deutschland an.

Und die SPD? „Widerstand gegen die Unfreiheit“ (Willy Brandt) erlaubt kein Zurückweichen und keine Leisetreterei, sondern erfordert Solidarität: Wenn 150 Jahre Sozialdemokratie eines gelehrt haben, dann wohl dies.

Autor*in
Matthias Küntzel

ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist. 2012 erschien sein Buch „Deutschland, Iran und die Bombe“.

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