Mit 31,2 Prozent konnten Schwedens Sozialdemokraten ihr Wahlergebnis nur leicht verbessern. Dennoch wurden sie stärkste Partei. Rot-Grün könnte nun eine Minderheitsregierung im Stockholmer Reichstag bilden.
Befreiter Jubel mochte am gestrigen Wahlabend bei den schwedischen Sozialdemokraten (SAP) nicht aufkommen. Seit 2006 saßen sie auf der Oppositionsbank. Für eine Partei, die das Land in 70 der letzten 100 Jahre regiert hat, war die Bestätigung der bürgerlichen Regierung 2010 ein schwerer Schlag. Die SAP hatte sich im Zuge der letzten Jahre inhaltlich und personell reformiert, um mit dem Slogan der Zukunftspartei unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen an die Erfolge der Partei in der Vergangenheit anzuknüpfen und die Diskurshoheit über das nordische Modell, die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung zurückzugewinnen. Bildung, Gesundheit und Arbeit waren dann auch ihre zentralen Wahlthemen: Sinkende Qualität sowohl im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die relativ hohe (Jugend)Arbeitslosigkeit sprachen auch gegen die Mitte-Rechts-Regierung.
Zu zaghaft? Zu vage?
Die 31,2 der SAP liegen nur knapp über den 30,7% vom letzten Mal – dem schlechtesten Ergebnis seit 1921! Politische Beobachter auch in den eigenen Reihen warfen der Führung vor, sie sei zu zaghaft und vage. Den engagierten Versprechungen (in 2020 hat Schweden die niedrigste Arbeitslosigkeit der EU) standen nur unklare oder begrenzte Politikvorschläge gegenüber. Obwohl es diesmal im Rund der befreundeten think tanks eine sehr lebhafte Debatte um Alternativvorschläge gegeben hatte.
Wirtschaftspolitisch war der Profilierungsspielraum gering. Im europäischen Rund stand das Land im Zeichen von internationaler Finanzkrise und europäischer Rezession nicht schlecht dar. Die Steuererleichterungen der bürgerlichen Koalition banden zudem weite Teile der Mittelschicht an die Regierungsparteien. Sozialpolitisch indes ist das Pendel wieder klar in sozialdemoktratische Richtung geschwungen.
Zudem ist die politische Parteienlandschaft noch komplexer geworden. Insgesamt hat das Oppositionslager links von der Mitte auch nicht genug Stimmen sammeln können, sondern tauschte ihre Stimmen oftmals untereinander aus. Vor allem die Grünen vermochten nicht an den Erfolg der Europawahlen anknüpfen. Klima- und Umweltpolitik hatten dort eine größere Rolle gespielt. Bei den Umfragen nach den zentralen Wahlthemen findet man diese Felder erst ganz am Schluss. Unter den 3,1% für die Feministische Initiative FI dürften auch viele Parteigänger der Umweltpartei gewesen sein.
Rechtspopulisten auch für Sozialdemokratie gefährlich
Die Rechtspopulisten haben nicht nur aus dem konservativen Lager gewonnen. Reinfeldts positiven Einlassungen zur offenen Flüchtlingspolitik mag ihm einige Wählerstimmen gekostet haben. Der SD-Politikmix aus Sozialpopulismus, Europaskeptizismus und Migrationskritik ist auch für die Sozialdemokraten eine gefährliche Mischung. Internen Umfragen des Gewerkschaftsbundes LO zufolge, folgen sie (wenn auch mit Abstand) den Sozialdemokraten als zweitstärkste Gruppierung, wenn die Mitglieder nach ihren parteipolitischen Präferenzen gefragt werden.
Schließlich der Kandidat: Löfven holte zwar auf, hinkte indes in den Beliebtheitsumfragen immer hinter Reinfeldt her. Ein Nachteil mag gewesen sein, dass Löfven als Parteivorsitzende über kein Parlamentsmandat verfügte und deshalb nur außerhalb der parlamentarischen Bühne agieren konnte.
Kniffliges Puzzle für Stefan Löfven
Perspektiven - ein kniffliges Puzzle für Stefan Löfven: Nach dem Rücktritt von Reinfeldt dürfte Stefan Löfven im Laufe der nächsten Tage vom amtierenden Präsidenten des Reichstages zum neuen Kandidaten für das Amt des Staatsministers (so heißt der Ministerpräsident in Schweden) ernannt werden.
Am 2. Oktober könnte Löfven im Reichstag gewählt werden. Er braucht dazu keine eigene Mehrheit, sondern ist gewählt, wenn es keine absolute Mehrheit (gleich 175 Stimmen im 349 köpfigen Reichstag) gegen sich hat. Dazu müssen sich die SD und/oder Teile der bürgerlichen Allianzparteien der Stimme enthalten. Eine relative Mehrheit gegen ihn kann einen Amtzsantritt nicht verhindern. Bis zum 17. November muß die neue Regierung dann ein Budget vorlegen. Dieser muss dann mit absoluter Mehrheit angenommen werden.
Drei Regierungsvarianten denkbar
Der Sozialdemokrat Löfven braucht nun all sein Verhandlungsgeschick. Folgende Szenarien sind denkbar:
Eine alleinige sozialdemokratische Minderheitsregierung: Dies böte ihm die Möglichkeit sich fallweise die parlamentarische Unterstützung von links bis weit in das bürgerliche Lager zu suchen. Indes: die alten Zeiten sozialdemokrischer Alleinregierung auch in Form von Minderheitskabinetten sind wohl vorbei. Seit 2006 wollen auch die kleineren Parteien politische Verantwortung übernehmen.
Eine große Koalition zwischen SAP und Moderaten böte eine stabile parlamentarische Mehrheit. Dies ist indes in Schweden ohne Tradition und gegen die politische Kultur des Landes.
Damit kommen wir zu einer Koalition mit den Grünen. Sie würde seine parlamentarische Ausgangsbasis zumindest etwas verbreitern. Vielleicht mag er die Linkspartei damit verprellen, die auch gerne mit von der Partie wäre. Letzteres würde es indes noch schwieriger gestalten, Teile der bisherigen bürgerlichen Allianz (vor allem: Volks- und Centrumspartei) für eine parlamentarische Unterstützung in einzelnen politischen Dossiers zu bekommen.
Sollten alle drei Szenarien scheitern, kommt es zu baldigen Neuwahlen. Der Parteivorsitzende der Rechtspopulisten hat sich dafür schon stark gemacht. Sie fühlen sich im Aufwind – bei allen anderen Parteien hält sich die Begeisterung für einen schnellen neuen Urnengang jedoch in Grenzen.
INFO: Als Hintergrund sei auch die FES Studie von Gero Maass, „Die Reichstagswahlen in Schweden. Sozialdemokraten nehmen Kurs auf die Regierungsübernahme“ verwiesen. Link: http://library.fes.de/pdf-files/id/10916.pdf