Inland

Schwarz-Gelb in NRW schafft Stichwahl ab: „Weniger Demokratie für mehr CDU-Bürgermeister“

CDU und FDP wollen in Nordrhein-Westfalen die Macht in den Rathäusern und Landratsämtern. Deshalb haben sie das Wahlrecht geändert. Die Stichwahl bei der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten entfällt ab 2020. Die SPD klagt dagegen vor dem Verfassungsgericht.
von Lars Haferkamp · 14. Mai 2019
NRW-Landtag in Düsseldorf: Hier änderten CDU und FDP das Kommunalwahlrecht zu ihren Gunsten.
NRW-Landtag in Düsseldorf: Hier änderten CDU und FDP das Kommunalwahlrecht zu ihren Gunsten.

Demokratieabbau – das verbindet man heute mit autoritären Regimen in der Türkei, in Russland, in Polen oder Ungarn. Doch aktuell kommt die Bedrohung nicht aus dem Osten, sondern ganz aus dem Westen Deutschlands. In Nordrhein-Westfalen haben CDU und FDP nämlich die Stichwahl bei Kommunalwahlen abgeschafft. Zum zweiten Mal übrigens innerhalb von zehn Jahren.

Thomas Kutschaty: „höchst undemokratischer Akt“

Damit haben die Bürgerinnen und Bürger des größten deutschen Bundeslandes künftig keine Möglichkeit, in einem zweiten Wahlgang über Bürgermeister und Landräte zu entscheiden, wenn im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit erhält. Das bedeutet ab der Kommunalwahl 2020: Derjenige ist direkt gewählt, der im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erreicht. Relativ versteht sich. Damit könnte ein Kandidat auch mit beispielsweise 25 Prozent oder weniger Stimmen gewählt sein, wenn der Zweitplatzierte noch weniger Stimmen erhält. In einem Parteiensystem mit sechs und mehr Parteien kein unwahrscheinliches Szenario.

„Die Abschaffung der Stichwahl ist ein höchst undemokratischer Akt“, kritisiert Thomas Kutschaty, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. Er hat eine Erklärung für das Verhalten von CDU und FDP: „Weniger Demokratie für mehr CDU-Bürgermeister lautet das Motto“, sagt Kutschaty. „Bei der letzten Kommunalwahl 2015 haben viele CDU-Bürgermeister-Kandidaten, die im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit noch vorne lagen, in der Stichwahl den Kürzeren gezogen. Aus machttaktischen Gründen hat die CDU-FDP-Landesregierung die Stichwahl deshalb nun abgeschafft.“

Gutachten: Abschaffung der Stichwahl ist rechtswidrig

Der SPD-Fraktionschef nennt diesen Akt „aus demokratischer Sicht höchst bedenklich“. Denn nun könnten Bewerber ins Amt kommen, die 70 Prozent der Wähler oder sogar mehr gar nicht gewählt hätten. „Oder es bilden sich schon im Vorfeld der Wahl zwei taktische Parteienblöcke, was nicht im Sinne der Meinungsvielfalt sein kann.“ Das will sich die SPD nicht bieten lassen. „Die SPD-Fraktion hat deshalb beschlossen, gemeinsam mit den Grünen Verfassungsklage gegen die Wahlrechtsreform der Landesregierung einzureichen“, so Kutschaty.

Dass diese Klage gute Chancen hat, zeigt ein Gutachten, das im Auftrag der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK NRW) erstellt wurde. „Der Gutachter hat festgestellt, dass die Abschaffung der Stichwahl den verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine Änderung des Wahlmodus nicht entspricht“, so Frank Baranowski, Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und SGK-Landesvorsitzender, bei der Vorstellung des Gutachtens vor der Landespressekonferenz. „Wahlen brauchen eine gute demokratische Basis und Verlässlichkeit. Die Voraussetzungen der Wahlen dürfen nicht nach Belieben in kurzen Abständen verändert werden“, fordert Baranowski.

Protest von mehr als 50 Bürgermeistern

NRW ist übrigens das einzige Land in der Bundesrepublik, dass die Stichwahl auf kommunaler Ebene abschafft. In den anderen Bundesländern ist es seit Jahrzehnten Praxis, bei der Direktwahl eines Bürgermeisters oder Landrates einen zweiten Wahlgang zu ermöglichen, falls es keine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang gibt.

Mehr als 50 Bürgermeister haben sich der Kritik der SGK angeschlossen und Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einen offenen Brief geschrieben. Sie wollten „den Landtag NRW vor einem großen Fehler zu bewahren. Denn die Pläne zur Abschaffung der Stichwahl in NRW bergen aus unserer Sicht eine große Gefahr für die Demokratie in unserem Land“. Wer an der Spitze einer kommunalen Behörde steht, solle sich auf eine breite Legitimationsbasis stützen können, heißt es in dem Brief weiter.

Verfassungsgericht muss nun entscheiden

CDU und FDP ignorierten alle Argumente. Am 11. April setzen sie die Abschaffung der Stichwahl mit ihrer schwarz-gelben Mehrheit im Landtag durch. Gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD, Grünen und AfD. Nun wird der Landesverfassungsgerichtshof NRW in Münster entscheiden, ob es dabei bleibt oder ob die Bürger ihr Recht auf eine Stichwahl zurückerhalten.

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