Schulbücher machen Migranten zum Problem
„Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern“, zitiert die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz, am Dienstagvormittag in Berlin Erich Kästner. Denn eine von Maria Böhmer (CDU), der Vorgängerin von Özoğuz (SPD) in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass Schulbücher Migration und Integration vorwiegend als Problem darstellen und die gesellschaftliche Vielfalt Deutschlands nicht als Normalität beschrieben wird.
Überwiegend negative Wortwahl
Zwar habe die Studie erwiesen, dass Deutschland in fast jedem der 65 untersuchten Schulbücher als Einwanderungsland beschrieben wird, jedoch werde Migration „primär als krisenhaft und konfliktträchtig“ beschrieben. So fehle vor allem eine zeitgemäße Darstellung in Text und Bild, die die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt. Das spiegle sich auch bei Metaphern wie „Schwemme“ oder „Flut“ wider, die im Zusammenhang mit Flüchtlingen benutzt werden. In einigen Schulbüchern sei in Karikaturen sogar „das N-Wort“ für farbige Menschen zu finden, erklärte die Leiterin der Studie Inga Niehaus – und das unreflektiert und nicht hinterfragt.
Auch die Aufgabenstellungen in den Büchern gilt es laut den Wissenschaftlern zu überarbeiten, um Vielfalt nicht negativ zu belegen. Fragestellungen wie aus einem der untersuchten Geschichtsbücher: „Welche Erfahrungen hast du mit Ausländern gemacht? Wie kann ihre Integration verbessert werden?“ führen dazu, dass „Migranten oft nicht als Aktive, sondern als Passiv-Betroffene“ dargestellt werden, bilanziert Niehaus. Auch dann, wenn sie in Deutschland geboren sind. Besonders die Unterscheidung in „wir“ - „sie“, führt dazu, dass Schüler mit Migrationshintergrund ausgeschlossen und zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden.
Vielfalt im Klassenzimmer
Dabei gelte Integration in den Sozialkunde-, Geschichts- und Geografieschulbüchern für den sozialen Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft als notwendig. Ein Blick in die deutschen Klassenzimmer zeigt längst die Vielfalt. Jeder dritte Schüler unter 15 Jahren hat einen Migrationshintergrund. „Auch Schulbücher müssen diese gesellschaftliche Entwicklung im Blick haben“, fordert Özoğuz. Denn sie vermitteln nicht nur Fachwissen, sondern auch Werte und Normen. Die Verschiedenheit sollte nicht als problematisch gesehen, sondern wertgeschätzt werden, betont Niehaus.
Keine „Schulbuch-Schelte“
Die Studie, mit der das Georg-Eckert-Institut (GEI) in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Bildungsintegration an der Stiftung Universität Hildesheim beauftragt wurde, untersuchte die Darstellung von Migration und Integration in 65 aktuell zugelassenen Schulbüchern für Sozialkunde, Politik, Geschichte und Geografie aus Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern. Die Studie sei keineswegs eine Schulbuch-Schelte, unterstreicht die Direktorin des Georg-Eckert-Instituts, Simone Lässig. „Uns ist sehr bewusst, dass das Schreiben und Konzipieren von Schulbüchern eine sehr schwierige Aufgabe ist.“
Die Wissenschaftler empfehlen, die Redakteure der Bücher gezielt zu sensibilisieren und regelmäßig weiterzubilden. Zudem sollten die Autoren die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln. Den Lehrern raten die Autoren, sich im Unterricht kritisch mit den Themen Migration und Integration auseinanderzusetzen, um auch die Darstellung in den Schulbüchern zu reflektieren.
Die drei großen Schulbuchverlage Klett, Cornelsen und Westermann haben sich der Kritik angenommen und darauf verwiesen, dass sie „als Bildungsanbieter schon sehr weit vorn“ seien, so der Geschäftsführer der Westermann Gruppe, Peter Schell. Den Verbesserungsvorschlägen der Wissenschaftler wolle man folgen, jedoch brauche die Überarbeitung Zeit und sei trotzdem keine Garantie dafür, dass die Schulen die Neuauflagen nutzen, resümierte Anja Hagen, verlegerische Geschäftsführerin bei Cornelsen.