Inland

Scholz zur Corona-Politik: „Gesundheit hat oberste Priorität“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz erklärt im „vorwärts“, wie er dafür sorgen will, dass alle gut durch die Krise kommen und dann wieder durchstarten können. Dabei setzt er auf Solidarität – in Deutschland wie in Europa.
von Karin Nink · 22. April 2020
Olaf Scholz steht zur Schuldenbremse
Olaf Scholz steht zur Schuldenbremse

Olaf Scholz, Bundesregierung und Landesregierungen sind sich einig über ein maßvolles Zurückfahren des Lockdowns in der Corona-Krise. Ist damit das Schlimmste für die Menschen vorbei?

Die Bürgerinnen und Bürger haben sehr verständnisvoll und klug auf die erheblichen Beschränkungen reagiert, die wir im Kampf gegen die Corona-Pandemie erlassen mussten. Damit ist es erstmal gelungen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und uns Zeit zu verschaffen, um in unseren Krankenhäusern die nötigen Kapazitäten zu schaffen, um mit der Situation umgehen zu können. Dafür möchte ich erstmal allen danke sagen. Denn es ist ein gutes Signal für unser Land, dass sich so viele an die Vorgaben gehalten haben. Jetzt können wir mit Augenmaß und Zuversicht damit beginnen, das soziale und wirtschaftliche Leben wieder etwas hochzufahren. Wir sind aber längst nicht über den Berg, das ist mir wichtig – bis wir über ein wirksames Medikament oder einen erprobten Impfstoff gegen das Coronavirus verfügen werden, werden wir noch eine ganze Weile mit Einschränkungen leben müssen. Das ist unsere neue Normalität.

Jeder Tag Stillstand erhöht die Rezession, die Arbeitslosigkeit, die Insolvenzen, die Staatsschulden. Welche Rolle spielt das bei den Überlegungen des Bundeskabinetts?

Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger hat oberste Priorität – in all unseren Entscheidungen. Klar ist, dass wir mit dem größten Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik dafür sorgen, dass in dieser Phase Arbeitsplätze geschützt werden und Betriebe und Firmen einigermaßen durch diese schwere Zeit kommen. Es hilft, dass wir Erfahrungen mit Krisen haben – so haben wir auf einige Instrumente zurückgegriffen, die wir schon in der Finanzkrise 2008/2009 genutzt haben. Ich war damals Arbeitsminister und habe das Kurzarbeitergeld massiv ausgebaut. Das ist jetzt wieder Teil des Schutzschildes, der außerdem aus Krediten, Stundungen, Zuschüssen und Beteiligungen an Unternehmen besteht. Und wir sichern Solo-Selbstständige ab, die einfacher Grundsicherung beantragen können. Wichtig ist mir, dass alle gut durch diese Krise kommen – und danach wieder durchstarten können.

Die Böckler-Stiftung empfiehlt eine Anhebung von Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld, um den Rückgang der verfügbaren Einkommen zu kompensieren. Ein guter Vorschlag?

Zunächst: In dieser Krise zeigt sich, wie wichtig ein leistungsfähiger Sozialstaat ist. Die Arbeitslosenversicherung hat dabei eine besondere Bedeutung – zu ihren Leistungen zählt ja auch das Kurzarbeitergeld. Es beträgt 60 Prozent beziehungsweise für Eltern 67 Prozent des Lohns. Wo es Tarifverträge gibt, legen die Unternehmen oft schon etwas oben drauf. Das sollte eigentlich überall der Fall sein. Hubertus Heil ist deshalb mit Arbeitgebern und Gewerkschaften im Gespräch. Auf dieser Basis sollten wir wegen des ganzen Charakters dieser Krise solche Leistungen weiter justieren.

Der Wirtschaftsweise Achim Truger hat sich auf vorwärts.de nach dem Ende des Lockdown für ein Konjunkturprogramm ausgesprochen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wäre das sinnvoll?

Ja, wir werden einen starken Konjunkturimpuls brauchen. Er muss passgenau, zeitlich befristet und zielgerichtet sein, um genügend Wirkung zu entfalten. Noch befinden wir uns aber mitten im Krisenmanagement und niemand kann jetzt schon seriös sagen, welche Maßnahmen nötig sein werden. Aber natürlich überlegen wir auch in diese Richtung.

Aus der Union kommen Forderungen nach Steuersenkungen. Was halten Sie davon?

Wer jetzt Steuersenkungen für Spitzenverdiener verlangt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wie gesagt, gerade zeigt sich ja der Wert eines fairen und gerechten Steuersystems. Nur dadurch kann der Staat in einer solchen Krise agieren. Ich hoffe sehr, dass sich auch hinterher all jene daran erinnern werden, die gerade von staatlicher Hilfe profitieren oder nach ihr rufen.

Kassiererinnen und Pflegekräfte werden als „Heldinnen und Helden“ öffentlich gelobt. Wie kann der Staat die privaten Arbeitgeber effektiv zu einer besseren Bezahlung ihrer Angestellten drängen? Bisher ist ja nur von Einmalzahlungen die Rede.

In der Corona-Pandemie zeigt sich, wer die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in unserer Gesellschaft sind. Und wenn man weiß, dass diese Berufsgruppen systemrelevant sind, dann sollten sie auch entsprechend entlohnt werden. Das ist zunächst Sache der Tarifvertragspartner. Wir können das aber unterstützen, indem wir den gesetzlichen Mindestlohn deutlich anheben. Wenn Firmen in der aktuellen Lage ihren Beschäftigten nun einen Bonus zahlen wollen, habe ich entschieden, dass wir ihn bis zu einer Höhe von 1.500 Euro steuerfrei stellen, auch Abgaben werden darauf nicht fällig. Eins sollte uns aber allen klar sein: Höhere Löhne bedeuten unter Umständen auch, dass wir höhere Preise in Supermärkten oder für Kranken- und Pflegeversicherung zahlen müssen – das sollte es uns wert sein. Das ist vielleicht eine weitere Lehre aus dieser Krise.

An der Bewältigung der Krise auf europäischer Ebene gab und gibt es viel Kritik, besonders die südeuropäischen Länder kritisierten mangelnde Solidarität des Nordens. Halten Sie die Kritik für berechtigt?

Ich habe viel Zuspruch von unseren Freunden in Spanien, Portugal und Italien erhalten für die Arbeit der vergangenen Wochen. Denn in den Verhandlungen der Euro-Finanzminister haben wir ein klares Zeichen der Solidarität gesetzt. 500 Milliarden Euro umfassen die Hilfen für die betroffenen Länder. Wir wollen die Europäische Investitionsbank (EIB) nutzen, um auch in Europa Unternehmen und Betriebe mit Krediten zu versorgen, damit sie durch die Krise kommen. Mit dem Programm SURE, das die EU-Kommission jetzt auflegen will und das auf einen Vorschlag von uns zurückgeht, können wir Regelungen unterstützen, die unserer Kurzarbeit entsprechen. Und mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) haben wir ein schlagkräftiges Instrument, um den Ländern rasch und günstig Geld zur Verfügung zu stellen, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Im Übrigen ohne dass irgendwelche Kommissare oder eine Troika ins Land geschickt werden.

Corona-Bonds, also die gemeinsame Schuldenaufnahme der Euro-Länder, bleiben auch nach der Einigung der Finanzminister ein strittiger Punkt.

Die Debatte ist im Augenblick wenig zielführend, weil es anderthalb bis zwei Jahren dauern würde, um die vertraglichen Vorgaben zu schaffen für eine solche Idee – unabhängig von der Tatsache, dass es in einigen Euroländern erhebliche Widerstände dagegen gibt. Italien und andere Länder brauchen jetzt aber schnell Geld. Und wichtig ist, dass sie für ihre Staatsanleihen keine großen Aufschläge zahlen müssen.

Der Streit über die Vergemeinschaftung von Schulden macht ein institutionelles Problem der Währungsunion deutlich, nämlich die fehlende gemeinsame Haushaltskontrolle. Sehen Sie mit der Corona-Pandemie den Zeitpunkt gekommen, diese Debatte in der Währungsunion zu führen?

Wir haben eine gute Lösung gefunden mit der EIB, mit SURE und dem ESM. Das war jetzt schnell möglich, ohne Vertragsveränderungen, die mehrere Jahre in Anspruch genommen hätten. Im Zuge der Einigung mit den EU-Finanzministern haben wir außerdem vereinbart, den wirtschaftlichen Wiederaufschwung Europas nach der Pandemie mit einem Recovery Fund zu unterstützen.

Wird unsere Wirtschaftspolitik nach dieser Krise modifiziert werden -müssen, und erleben wir eine Epochenwende wieder hin zu mehr Staat?

Nun ja, die Staatsverächter lernen zumindest gerade den Wert eines leistungsfähigen Sozialstaates kennen und merken, dass die Devise „wenn sich jeder selbst hilft, ist allen geholfen“ falsch ist. Das ist keine ganz schlechte Entwicklung.

Hat eine globale Steuerreform mit einer weltweiten Mindeststeuer durch diese Krise noch mehr Bedeutung als bisher gewonnen?

Die Bedeutung bleibt auf alle Fälle hoch, denn ein funktionierendes Gemeinwesen braucht stabile Einnahmen. Mit einer Mindeststeuer verhindern wir, dass sich große Unternehmen vor ihrer Steuerpflicht drücken können. Auf Ebene der dafür zuständigen internationalen Organisation, der OECD, sind wir in den Verhandlungen schon weit gekommen – und ich dränge darauf, dass wir sie in diesem Jahr beenden. Das wäre ein echter Erfolg.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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