Inland

Schnitzel mit Beigeschmack

von Coco-Christin Hanika · 16. Januar 2013

Die Deutschen essen so viel Fleisch wie noch nie. 60 Kilo pro Kopf waren es im vergangenen Jahr. Die Folgen beschreiben der BUND, die Heinrich-Böll-Stiftung und Le Monde Diplomatique in ihrem „Fleischatlas“.

„Wir wollen aufklären, informieren und zum Nachdenken anregen“, nennt Barbara Unmüßig, Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, den Grund für den Fleischatlas.  Und Aufklärung scheint dringend nötig.

Studien belegen, dass sich der durchschnittliche Fleischverzehr der Deutschen jährlich auf 60 Kilogramm pro Kopf beläuft – doppelt so viel, wie Bewohner von Entwicklungs- oder Schwellenländern verzehren. In den ärmsten Ländern der Welt liegt der  jährliche Fleischverbrauch sogar unter zehn Kilogramm pro Kopf.

Fleisch beherrscht den Essensalltag der Deutschen – ganz offen als Schnitzel oder versteckt in Produkten, wie „toasty“: Einfach rasch in den Toaster gesteckt und nach ein paar Minuten bekommt man einen Snack für Zwischendurch serviert. So verspricht es die Werbung. Dabei handelt es sich bei toasty um nichts anderes als Fleisch, verkleidet in einer Hülle aus Paniermehl.

Wir müssen global denken
Eine  „Entfremdung des Verbrauchers zum Produkt“  ist die Folge, klagt Barbara Unmüßig. Mit Hilfe des „Fleischatlas“ soll dieser Entwicklung nun gezielt entgegengewirkt werden.
 
In Texten, Faktenkästen und grafischen Darstellungen beleuchtet der „Fleischatlas“ die Auswirkungen des steigenden Fleischkonsums auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Ein globales Bewusstsein soll geweckt werden. Kurz vor dem Start der „Grünen Woche“ müssten nochmals die Schattenseiten der agrarpolitischen Entwicklungen aufgezeigt werden, fordert Barbara Unmüßig.
 
Deutschland bezieht nämlich einen Großteil seines Tierfutters nicht aus eigenem Anbau, sondern für „kleines Geld“ aus Ländern des globalen Südens. Dafür würden dort riesige Anbauflächen benötigt. Für Brasilien beispielsweise bedeute das die Umwandlung von Weideflächen in Soja-Anbaugebiete. Die Folge dieser Entwicklung beschreibt Unmüig so: Bereits ein Fünftel der Fläche des Amazonas seien entwaldet und zu Weideflächen umfunktioniert worden. Zusätzlich belasteten Monokulturen und giftige Schädlingsbekämpfer das Ökosystem. Artenverlust und eine weiträumige  Verunreinigung des Grundwassers seien die Folge.
 
Zu den ökologischen Folgen einer steigenden Fleischproduktion kommen humanitäre hinzu: Zum vermeintlichen Wohle der Exportwirtschaft der Entwicklungsländer werden Klein-Bauern von Großkonzernen von ihrem Land vertrieben. Ihre Existenz- und Nahrungsgrundlage wird geraubt.

Eine Kehrtwende in der Agrarpolitik muss her
„Ein Umdenken der Politik“, fordern deshalb der BUND, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Le Monde Diplomatique. Die Förderung der Massentierhaltung mit öffentlichen Geldern müsse aufhören. Dafür scheint den dreien das Jahr 2013 nahe zu perfekt. Noch im ersten Halbjahr soll die Agrarpolitik der Europäischen Union reformiert werden.

Der BUND wünscht sich eine echte ökologische und soziale EU-Agrarreform, in der die Vergabe der 60 Milliarden Euro Subventionen an strenge Umwelt- und Tierschutzauflagen gebunden sind. Es gibt bereits einen Vorschlag der Europäischen Kommission, der in dieselbe Richtung steuert: In Zukunft sollen nur noch Betriebe Gelder erhalten, die entsprechende Auflagen erfüllen. Dazu gehören u.a. Fruchtwechsel und ein Mindestanteil von sieben Prozent ökologischer Vorrangfläche.

Chance zum Kurswechsel durch Landtagswahlen in Bayern?
 
Besonders Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner ist durch ihre Exportoffensive von Hühnerteilen in die dritte Welt in Verruf geraten. Mit Blick auf die anstehende Landtagswahl in Bayern sieht Hubert Weiger jedoch eine Chance zum Kurswechsel der Ministerin. Bayern werde durch den Prozess der industrialisierten Landwirtschaft in seinen Strukturen zunehmend existenziell gefährdet, argumentiert der BUND-Vorsitzende. „Deshalb haben wir dort auch den größten Widerstand.“ Aigner, die nach der Bundestagswahl in Bayern politische Verantwortung übernehmen möchte, werde dort nur eine Chance haben, wenn sie nachweisen könne, dass sie im Rahmen ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten die Agrarreform mit vorangebracht habe.
 
„Wir haben keine Chance, auch nur eines unserer zentralen Umweltprobleme zu lösen, wenn wir den gegenwärtigen Prozess nicht stoppen“, mahnt der BUND-Vorsitzende Weiger. Den Fleischatlas sieht er als einen ersten Schritt auf diesem Weg.  Und so sind sich die Vertreter von BUND, Le Monde Diplomatique und Heinrich-Böll-Stiftung in ihrer Hoffnung einig, dass sie „mit dem Fleischatlas eine politische Debatte angestoßen“.

Autor*in
Coco-Christin Hanika

Coco-Christin Hanika absolviert im Frühjahr 2013 ein Praktikum beim vorwärts.

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