Inland

Schneider: „Die Linke ist demokratisch gewählt“

Am Donnerstag präsentierten Linke, SPD und Grüne ihren Koalitionsvertrag. Bodo Ramelow soll erster linker Ministerpräsidenten werden. Der SPD-Parlamentarier Carsten Schneider freut sich über das Ende der CDU-Herrschaft und spricht im Interview über das sozialdemokratische Verhältnis zur Linkspartei.
von Marisa Strobel · 20. November 2014
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sieht einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen zuversichtlich entgegen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sieht einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen zuversichtlich entgegen.

Herr Schneider, nach 24 Jahren CDU-Herrschaft kommt nun voraussichtlich der Regierungswechsel zu Rot-Rot-Grün. Der Koalitionsvertrag steht. Wie fühlen Sie sich?

Ehrlich gesagt, euphorisch bin ich nicht. Die Revolution wird nicht ausbrechen in Thüringen, aber wir bekommen eine deutliche Veränderung der politischen Kultur. Der eigentliche Gewinn ist, dass die jahrelange CDU-Herrschaft beendet ist. Wir versuchen jetzt sozialgerechte und solide Politik für Thüringen zu machen.

Sind Sie zufrieden mit dem Inhalt des Koalitionsvertrags?

Ja. Wir schaffen das Thüringer Betreuungsgeld ab, das es hier neben dem bundesweiten Betreuungsgeld noch zusätzlich gibt und investieren diese Mittel stattdessen in den Ausbau der Kinderbetreuung. Außerdem wird das erste Kita-Jahr beitragsfrei sein. Und wir werden die Verwaltungs- und Gebietsstrukturen reformieren, etwas, das die CDU seit Jahren blockiert hat. Die dadurch gewonnenen Einsparungen werden wir für Zukunftsinvestitionen einsetzen.

Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls gibt es vermehrt Kritik an einer Koalition mit den Linken. Am Tag der Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten träten Sozialdemokraten der ersten Stunde aus, heißt es zum Beispiel. Ist diese Sorge berechtigt?

Ich kann die Genossinnen und Genossen verstehen, die 1989 und 1990 aus Opposition gegen die SED und für einen Neuanfang in die SPD eingetreten sind. Inzwischen sind 25 Jahre vergangen und die Linkspartei in Thüringen hat sich deutlich verändert. Sie setzt sich mit ihrer Vergangenheit auseinander und arbeitet ihre historische Verantwortung auf, dazu haben wir auch ganz wesentlich beigetragen. Die Spitzenleute der Linkspartei sind in weiten Teilen jünger als ich oder in meinem Alter, sie waren also höchstens bei den Thälmannpionieren. Ihnen kann ich schlecht das Unrecht der SED vorwerfen. Ramelow hat außerdem versichert, dass niemand Regierungsverantwortung übernehmen wird, der früher in staatsnaher Verantwortung für die DDR stand. Damit ist dann mal Schluss. Die Linke ist demokratisch gewählt und das sollten wir jetzt mal akzeptieren. Für die Zukunft ist entscheidend, ob wir gemeinsam gute Politik für Thüringen machen können.

70 Prozent der rund 4400 thüringischen SPD-Mitglieder haben sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Wie hoch ist das Risiko, dass Bodo Ramelow am 5. Dezember nicht genug Stimmen bekommt, so wie es 2005 Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein passiert ist?

Meines Erachtens wissen die Landtagsabgeordneten, dass sie einen sehr guten Koalitionsvertrag ausgearbeitet haben. Das gilt auch für die Sozialdemokraten und Grünen. Insofern denke ich, dass die Kollegen Bodo Ramelow wählen werden. Ich kann mir sogar Stimmen aus den Reihen der CDU vorstellen, weil diese in Thüringen zerstritten und gespalten ist. Die Machtkämpfe werden derzeit noch hinter vorgehaltener Hand geführt, aber auf dem CDU-Parteitag Mitte Dezember wird es dann Entscheidungen geben. Ich gehe davon aus, dass auch viele in der Union eine baldige Entscheidung über den Ministerpräsidenten anstreben, weil sie Christine Lieberknecht loswerden wollen.

Also möchte die CDU gar nicht einspringen, falls die rot-rot-grüne Koalition platzen sollte?

Die Wahl wird gelingen. Alles andere würde zu einer politischen Pause von einem halben bis dreiviertel Jahr in Thüringen führen. Das wäre nicht zu verantworten. Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass wir jetzt nicht mehr den Koalitionspartner wechseln. Wir haben uns in dem Mitgliedervotum klar für den Regierungswechsel ausgesprochen. Im Zweifelsfall stünden nur Neuwahlen zur Debatte.

Die Koalition wird nur eine Stimme mehr als die Opposition besitzen. Was bedeutet das für die Regierungsfähigkeit?

Ganz klar ist, dass die Regierung es nicht einfach haben wird. Erstens fallen in den nächsten fünf Jahren enorme Zuweisungen des Bundes weg. Die Verwaltungs- und Gebietsreform wird ebenfalls nicht überall auf Zustimmung stoßen. Außerdem erwarte ich einen Überbietungswettbewerb der Oppositionsfraktionen von AfD und CDU. Das wird sicherlich intensiv und sollte die Koalition zusammenschweißen, um für die notwendige Mehrheit zu sorgen.

Wird das rot-rot-grüne Bündnis in Thüringen eine Signalwirkung für künftige Koalitionen auf Bundesebene haben?

Ich sehe erstmal nur landespolitische Auswirkungen. In den letzten zehn Jahren gab es bereits eine Normalisierung des Verhältnisses von Linkspartei und SPD. Die Sprachlosigkeit zwischen den beiden Parteien ist beseitigt. Allerdings könnten die Linken Probleme bekommen, wenn sie in Thüringen Realpolitik machen und im Bundestag auf Frontalopposition setzen. Das wird die Partei vor Perspektiv-Fragen stellen: reine Oppositionspartei oder auch Regierungsverantwortung? Diesem Klärungsprozess sehe ich entspannt zu. Für die Bundestagswahl 2017 erwarte ich allerdings keine Auswirkungen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider wurde 1976 in Erfurt, Thüringen, geboren. Er ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion sowie stellvertretender Vorsitzender der SPD- Thüringen.

 

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Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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