Inland

Schlesiger-Affäre: Wie sich die Öffentlich-Rechtlichen ändern müssen

Als Konsequenz aus der Affäre um die entlassende RBB-Intendantin Schlesinger fordert SPD-Medienpolitiker Helge Lindh eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gleichzeitig warnt er vor einer „Generalattacke“ von rechts auf die Sender.
von Kai Doering · 27. August 2022
Die Schlesinger-Affäre hat die ARD in eine Krise gestürzt. Die Sender sollten deshalb die Flucht nach vorn antreten, meint SPD-Medienpolitiker Helge Lindh.
Die Schlesinger-Affäre hat die ARD in eine Krise gestürzt. Die Sender sollten deshalb die Flucht nach vorn antreten, meint SPD-Medienpolitiker Helge Lindh.

Ist der Fall der ARD-Intendantin Patricia Schlesinger symptomatisch für die Missstände im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Das Verhalten von Patricia Schlesinger war schändlich und, wie es scheint, zum Teil womöglich sogar kriminell. Das muss schnell aufgeklärt werden, in allen Facetten, von Spesen bis zu den noch viel gravierenderen Beraterfragen. Vor allem müssen wir aber dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann, und rekonstruieren, warum Aufsicht nicht funktioniert hat und Vorwürfe nicht geprüft wurden. Die Vorgänge als Beweis dafür zu sehen, dass die öffentlich-rechtlichen Medien abgeschafft oder zumindest zurechtgestutzt werden müssen, wäre aber ein großer Fehler. Das Gegenteil ist der Fall: In Zeiten von Desinformation, Manipulation und Fake News brauchen wir mehr denn je Qualitätsjournalismus, der für jeden zugänglich ist.

Der Fall Schlesinger wird nun von konservativer bis reaktionärer Seite für eine Generalattacke auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk genutzt. Wer immer schon etwas gegen die Öffentlich-Rechtlichen hatte, sieht die Vorgänge als Beweis, dass die Kritik berechtigt war. Deshalb sollten sich alle Demokraten klar zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekennen. Das Fazit „Mehr Compliance, mehr Kontrolle, mehr Mitbestimmung, mehr Verantwortung" scheint mir viel redlicher als der perfide Versuch von Merz und seiner CDU, politisch-ideologisch das Programm zu beeinflussen und sich populistisch aufs Gendern im ÖRR zu stürzen. Der ÖRR möge Korrektiv der Mächtigen sein, aber gerade nicht Vollzugsorgan der Mächtigen.

Trotzdem konnte es innerhalb der öffentlich-rechtlichen Strukturen zu den mutmaßlich kriminellen Handlungen kommen.

Es ist offensichtlich, dass vorhandene Kontroll- und Aufsichtsstrukturen nicht ausgereicht haben. Die Möglichkeit der Gremien, qualifiziert Einfluss zu nehmen, muss deshalb gestärkt werden. Das ist im neuen Medienänderungsstaatsvertrag auch schon vorgesehen. Die bestehenden Compliance- und Transparenz-Regeln beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollten deshalb noch ausgeweitet werden: Da, wo es eine öffentliche Finanzierung gibt, müssen in diesen Fragen Spitzenstandards gelten. Das gilt nicht nur für die Anstalten der ARD, sondern für öffentliche Einrichtungen insgesamt. Nur so wird es gelingen, Vertrauen zurückzugewinnen. Noch ein Hinweis: Ineffizienz, Vertrauensverlust und reale Missstände dienten einst als Anlass, besser: als Vorwand, eine Privatisierungsorgie öffentlich-staatlicher Strukturen zu feiern. Heute beklagen wir bitter inmitten der Krisen das Fehlen öffentlicher Infrastruktur.

Wo sehen Sie darüber hinaus Änderungsbedarf?

Ich bin ein großer Verfechter von Demokratisierung. Das gilt auch für Gehälter. Die Quasi-Boni, die beim rbb gezahlt  wurden, sind ein Verrat an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die unter immer schwierigeren Bedingungen arbeiten müssen. Mir ist jedenfalls nicht klar, was im öffentlich-rechtlichen Rundfunk leistungsbezogene Boni rechtfertigt und wie Leistung hier überhaupt gemessen wird. Deutlich mehr Transparenz ist deshalb sehr wichtig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten zudem bei strukturellen Fragen viel mehr mit einbezogen werden als bisher. Zudem ist die Qualifizierung und Fortbildung innerhalb der Aufsichtsgremien notwendig, damit Kontrolle auch kompetent und wirksam ausgeübt werden kann. Wenn Freiheit und Demokratie von Leuten auf Kosten der anderen ausgenutzt werden, schaffen wir doch nicht Freiheit und Demokratie ab, sondern regulieren die Verletzung der Freiheit vieler durch den Missbrauch der Freiheit einzelner und arbeiten an mehr Qualität, mehr Freiheit und mehr Demokratie. Das ist die systemisch und logisch passende Antwort.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht schon seit längerem in der Kritik. Ist der Fall Schlesinger der richtige Zeitpunkt für eine grundlegende Reform?

Die Debatte, wie wir uns den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Zukunft vorstellen, führen wir ja schon länger. Das ist auch richtig. Als leuchtende Beispiele werden aber häufig Frankreich und Großbritannien genannt, deren öffentlich-rechtlicher Rundfunk sehr zentralistisch organisiert ist. Das ist kein Modell für Deutschland. Die Regionalisierung mit den Landesrundfunkanstalten halte ich für eine große Stärke. Das aufzugeben, wäre fahrlässig. Den Programmauftrag zu schärfen und die Gremien zu stärken, ist aber essenziell. Da wurden im neuen Medienstaatsvertrag auch schon einige gute Impulse aufgenommen. Das Ziel kann aber nicht sein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzugrenzen und zu marginalisieren. Es ist auch erstaunlich, wie sich die Kritiker von Pilcher-Movies jetzt in der Affäre Schlesinger bestätigt fühlen. Das alles spielt nur denen in die Hände, die den ÖRR beerdigen wollen. Diejenigen, die wie Heike Raab in der Rundfunkkommission indes seit Jahren den ÖRR mutig und umsichtig gegen massive und gezielte Angriffe bewahrt haben, verdienen größte Anerkennung.

Wie groß ist der Glaubwürdigkeitsverlust durch den Fall Schlesinger für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt?

Der Glaubwürdigkeitsverlust ist immens. Der Vertrauensverlust nach Innen und Außen aber ebenso. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, daraus zu schließen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt überflüssig ist und abgeschafft werden muss. Die Nutzerzahlen sprechen da auch eine komplett andere Sprache: Formate wie die Tagesschau haben ja zuletzt Rekord-Einschaltquoten eingefahren. Lasst uns Vertrauen in die Bereitschaft der Mehrheit haben, wieder zu vertrauen. Die Sender sollten deshalb die Flucht nach vorn antreten und ihre Strukturen analysieren und reformieren. Wenn ihnen das gelingt, werden sie gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Inzwischen konkurrieren die öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur mit dem werbefinanzierten Fernsehen, sondern auch mit Streaming-Diensten wie Netflix und Co. Sind die Rundfunkgebühren da noch zeitgemäß?

Ich persönlich denke ja. Ausgehandelt werden muss das aber in den bestehenden Strukturen. Und da entscheiden die Länder in der Koordinierung, und zwar einvernehmlich. Eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Steuern ist aber in jedem Fall keine Lösung. Das würde auch gegen das Gebot der Staatsferne verstoßen. Entscheidend ist, dass durch die Finanzierung die Kernkompetenzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichergestellt sind. Er muss dabei auch mit anderen Anbietern mithalten können, damit Wirtschaftsunternehmen nicht mit einem Mal ein Informationsmonopol haben. Die Demokratie braucht einen schlagkräftigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ohne Bezahlschranken, aber mit qualitativen Online-Angeboten in ihrer Vielfalt. Ein Rundfunk, der so klingt und spricht, wie es uns gerade ideologisch passt und den wir nach ideologischem Maßstab finanziell belohnen bzw. bestrafen, ist gerade nicht, was wir brauchen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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