Inland

Rente: Wann eine Versicherungspflicht für Selbständige sinnvoll ist

Alle in die gesetzliche Altersvorsorge? Auch verdi unterstützt eine Rentenversicherungspflicht für Selbständige. Aber nur, wenn alle Erwerbstätigen und auch Auftraggeber, die Selbständige beschäftigen, künftig Beiträge in das Solidarsystem zahlen, erklärt Veronika Mirschel im Interview.
von Vera Rosigkeit · 13. Juli 2016
Bei vielen Selbständigen reichen die Einnahmen nicht, um die Beiträge zur Rentenversicherung aufzubringen.
Bei vielen Selbständigen reichen die Einnahmen nicht, um die Beiträge zur Rentenversicherung aufzubringen.

Frau Mirschel, lässt der digitale Wandel die Zahl der prekär Beschäftigten unter den Selbständigen steigen?

Die Frage, wo die Entwicklung hingeht, ist derzeit nicht eindeutig zu beantworten. Stieg die Anzahl der Selbständigen bis 2012 stetig an, können wir momentan beobachten, dass sie stagniert und sogar ein wenig rückläufig ist. Gerade die Anzahl der Selbständigen, die in der Not gegründet haben, ist deutlich zurückgegangen. Das hat mit der Konsolidierung des Arbeitsmarktes zu tun. Diejenigen, die lieber in einer Festeinstellung tätig sind, scheinen dort wieder Fuß gefasst zu haben.

Wie viele Selbständige sind von Armut betroffen?

Laut Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeitet derzeit ein Viertel der alleine arbeitenden Selbständigen – wir gehen momentan von ungefähr 2,3 Millionen Soloselbständigen aus – in der Armutszone.

Wie sieht es bei dieser Gruppe mit der sozialen Sicherung im Alter aus?

Da beginnt das Problem bereits mit der Krankenversicherung. Es gibt in Deutschland eine Krankenversicherungspflicht für alle Selbständigen. In ihrer Beitragsbemessung geht die gesetzliche Krankenversicherung derzeit von einem angenommenen Mindesteinkommen von knapp 2200.- Euro aus. Da kommen gut 380.- Euro Belastung pro Monat für Kranken- und Pflegeversicherung auf den Einzelnen zu. Diese Summe muss ich als Selbständige auch zahlen, wenn ich weniger verdiene und müsste für eine armutsfeste Altersvorsorge zusätzlich den gleichen Beitrag aufbringen. Würde ich aber z.B. nur 1800.- Euro im Monat verdienen, wird es mir schwerfallen, diesen Beitrag für die Alterssicherung zusätzlich aufzubringen. Deshalb brauchen wir andere Modelle.

Welche Modelle sind im Gespräch?

In der öffentlichen Diskussion überwiegt derzeit die Frage, wie man dafür sorgen kann, dass die Kolleginnen und Kollegen so hohe Honorare erzielen, dass sie die Beiträge problemlos zahlen können. Daneben gibt es Überlegungen, sie in der Gründungsphase mehr zu unterstützen, so dass die Gründung frei von diesen finanziellen Belastungen erfolgen kann.

Wir von ver.di plädieren zudem für eine Auftraggeberabgabe. Das bedeutet, ein Auftraggeber, der Selbständige beschäftigt, soll auch hierfür Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, vorausgesetzt alle Selbständigen sind pflichtversichert.

Das klingt nach Künstlersozialkasse?

Bei der Künstlersozialkasse kommt neben der ca. fünfprozentigen Abgabe des Auftraggebers noch ein Staatszuschuss hinzu. Wir reduzieren uns aber bewusst auf die Abgabe des Auftraggebers. Die KSK ist ein gut begründetes Sondermodell für bestimmte Berufe, das wir nicht in Frage stellen wollen.

Voraussetzung ist aber, dass sich alle Selbständigen pflichtversichern?

Im Prinzip sollten sich alle Selbständigen schon deshalb pflichtversichern, weil sich ihr Status im Laufe des Erwerbslebens ändern kann. Entscheidend ist doch, dass es keine gebrochenen Versicherungsbiografien gibt. Wir sagen: Alle, und zwar alle Erwerbstätigen, in das sicherste, gerechteste und effizienteste System, alle in eine gesetzliche Altersvorsorge.

Wie könnte das Prinzip Auftraggeberabgabe bei den digitalen Plattformen ausschauen, deren Geschäftsmodell es ist, beispielsweise Dienstleistungen zu vermitteln?

Wer über das Internet z.B. haushaltsnahe Dienstleistungen anbietet, kann die üblichen Sozialabgaben einpreisen und abführen. Wie alle anderen Unternehmen stehen sie in der Verantwortung unser Sozialversicherungssystem zu erhalten. Andere Verwerter von Arbeitskraft können sich ja auch nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung stehlen, indem sie behaupten, Arbeit letztlich nur zu vermitteln.

Wie realistisch ist die Umsetzung?

Viele halten das für traumtänzerisch. Aber wenn immer mehr Arbeiten ausgelagert und über die neuen Geschäftsmodelle im Internet vermittelt werden, verlagern sich auch die Risiken immer mehr auf Selbständige, die nicht in der Lage sind, die Vorsorgekosten individuell einzupreisen. Man wird darüber nachdenken müssen, woher dann das Geld für unser Sozialsystem kommen soll. Es wird nicht reichen, diejenigen, die sich keine Vorsorge leisten können, gesetzlich dazu zu verpflichten.

Man wird auch deshalb darüber nachdenken müssen, weil derzeit viele Gründungen erstmal nur im Nebenberuf erfolgen und es oft jahrelang bleiben. Habe ich beispielsweise einen Hauptberuf, zahle ich dort Sozialabgaben. Bin ich im Nebenberuf z.B. über diese Plattformen tätig, sind diese Tätigkeiten im Moment vollkommen abgabefrei. Wenn der Markt dieser nebenberuflichen Tätigkeiten wächst, entgeht dem Solidarsystem Vermögen, auf das die Gesellschaft und die übrigen Pflichtversicherten eigentlich Anspruch hätten. Auch das ist ein Hintergrund unserer Forderung, die Auftraggeber in die Verantwortung zu nehmen.

node:vw-infobox

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare