Rechte Troll-Armee bläst zur Attacke auf Kommentarspalten
Thomas Trutschel/photothek.net
Zuletzt traf es die Berliner Polizei: Nachdem sich diese auf ihrem Twitter-Account mit den rund 37.000 Mitgliedern der Facebook-Gruppe „#ichbinhier“ solidarisiert hatte, riefen mutmaßlich organisierte Kommentatoren zur Attacke. Binnen kurzer Zeit liefen zahlreiche Antworten auf den Tweet der Polizei ein. Der Großteil davon vom Vorwurf geprägt, die Neutralitätspflicht verletzt zu haben und sich stattdessen mit „Linksextremisten“ zu solidarisieren.
Gezielte Kampagnen rechtsradikaler Meidenaktivisten
Das Muster entspricht exakt den Ergebnissen jener Recherchen, die WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung am Dienstag veröffentlichten. Demzufolge verabreden sich organisierte Gruppen von Internetnutzern, sogenannte Trolle, um Diskussionen und Themensetzungen in sozialen Netzwerken in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Rede ist von gezielten Kampagnen rechtsradikaler Medienaktivisten, die sich - besonders stark während der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs - in hierarchisch geordneten Gruppenstrukturen verabredet und ihre Aktionen koordiniert hatten.
Konkret benannt wird die Gruppe „Reconquista Germanica“. Zweitweise hätten sich unter diesem Label mehrere tausend rechter Medienaktivisten zusammengeschlossen, um das Meinungsbild in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Youtube zu beeinflussen. Ziele seien die social-media-Kanäle großer Medienhäuser und politischer Parteien gewesen. In der heißen Phase des Wahlkampfs wären deren Aktivitäten durch sogenannte social bots unterstützt worden, heißt es weiter.
Der Kampf um die Online-Vormacht
Wie die Manipulation praktisch funktionierte? Mitglieder von „Reconquista Germanica“ – darunter laut „tagesschau.de-faktenfinder“ auch Angehörige der AfD-Jugend „Junge Alternative“ und der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ – verabredeten sich in Chatgruppen oder via Video-Chats zu Aktionen gegen bestimmte Berichte, Sendungen oder Personen. In Gruppen und unter Anleitung eines „Bannerführers“ schlugen sie los, kaperten ganze Kommentarspalten und erzeugten so Meinungsbilder, die in Einzelbereichen eine rechte Hegemonie suggerierten. Darüber hinaus produzieren Mitglieder der Gruppe quasi am laufenden Band Memes, die mit politischen Botschaften versehen werden und diese transportieren. Auch werden die eigenen Mitglieder durch interne Video-Chats angeleitet, etwa bei der Einrichtung von Fake-Accounts.
Spannend: Eine zeitgleich zu den Recherchen veröffentlichte Datenanalyse zeigt, dass die Trolle mit ihrem Vorgehen durchaus effizient sind. Dementsprechend gelingt es einer relativ kleinen Zahl an Nutzern, massiven Einfluss auf Online-Debatten auszuüben. Das Ergebnis einer Untersuchung des IT-Experten Philip Kreißel und des Institute for Strategic Dialogue in London: Lediglich fünf Prozent der Accounts waren im Januar für 50 Prozent der Likes bei Hass-Kommentaren verantwortlich. Das aktivste Prozent der Profile sorgte gar für 25 Prozent der Likes. Für die Untersuchung waren laut Kreißel rund 3.000 Meldungen und 18.000 Kommentare auf den Facebook-Seiten Bild, Focus-Online, Kronen-Zeitung, Spiegel-Online, tagesschau.de, Welt sowie ZDF heute ausgewertet worden.
Kritik am Facebook-Algorithmus
Darauf, dass der Facebook-Algorithmus die häufig durch koordinierte Aktionen ausgelösten polarisierenden Debatten belohnt, hatten in der Vergangenheit bereits verschiedene Experten hingewiesen. Ingrid Brodnig, Autorin der Bücher „Hass im Netz“ und „Lügen im Netz“, sprach im Interview mit vorwärts.de von einer „Belohnung“ von Falschmeldungen auf Facebook. IT-Experte Kreißel, selbst Mitglied der Anti-Hass-Initiative „ichbinhier“, nannte das Ergebnis eine „sich selbst verstärkende Polarisierung“.