„Rasse“: Warum der Nazi-Begriff immer noch im Grundgesetz steht
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Der Rasse-Begriff wird wohl vorerst im Grundgesetz stehen bleiben – aber die Debatte darüber ist nicht beendet. Christine Lambrecht würde ihn gerne streichen und durch einer zeitgemäße Formulierung ersetzen, um einen Begriff aus der Zeit des Nationalsozialismus zu entfernen. Doch bei der Union gibt es dafür offenbar immer noch keine Mehrheit. Das erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht am Montag nach einer Sitzung des Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus.
Worum es in der Debatte geht
Im Grundgesetz steht immer noch der Begriff „Rasse“ – und zwar im Artikel drei, Absatz drei. Dort heißt es:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Es geht also um Gleichbehandlung und Abwehr von Diskriminierung. Das Problem dabei: Der Begriff „Rasse“ stammt ursprünglich aus der Zeit des Nationalsozialismus, entspringt also einer rechtsextremen Gedankenwelt, die die Menschheit in Rassen einteilt. In der Ideologie des Nationalsozialismus gibt es höher- und minderwertige Rassen, die aus Sicht der Nazis auch unterschiedlich „lebenswürdig“ sind.
Das ist die Grundlage, warum der Begriff umstritten ist – denn das Grundgesetz nennt „Rasse“ in einem Atemzug mit Religion und Sprache und anderen Kategorien, aufgrund dessen Diskriminierung oder Benachteiligung denkbar ist. Damit wird der Eindruck erweckt, das Grundgesetz würde anerkennen, dass Menschen in „Rassen“ unterteilt werden können, sagen Kritiker*innen wie SPD-Parteivize Serpil Midyatli und viele andere. Deswegen soll der Begriff ersetzt werden.
Die Kritik an dem Begriff war vor allem aufgrund von Protesten gegen Diskriminierung und Rassismus wieder aufgeflammt. Bewegungen wie „Black Lives Matter" aus den USA hatten auch in Deutschland dafür gesorgt, dass das Grundgesetz mit Blick auf diskriminierende Formulierungen wieder in den Blick genommen wurde.
Warum „Rasse“ überhaupt im Grundgesetz steht
„Es war ein diskriminierendes Merkmal der Nazis“, erklärt die Bundesjustizministerin dazu. Es ist auch der Grund, warum „Rasse“ 1949 als Begriff in Artikel drei des Grundgesetz aufgenommen wurde: Um zu verhindern, dass Menschen nach diesem Gedankengut eingeteilt und diskriminiert werden. Auch damals sei den Jurist*innen schon klar gewesen, dass es nicht mehrere Rassen gebe, erklärt Christine Lambrecht. Damit bezieht sich die Sozialdemokratin auch auf den wissenschaftlichen Stand der Debatte: Menschen können biologisch nicht in Rassen unterteilt werden, darüber ist man sich einig. Das schließt aber nicht aus, dass Menschen aufgrund dessen diskriminiert werden können. Darüber herrscht auch bei den anderen demokratischen Parteien im Bundestag Einigkeit. Nur die AfD ist in vorherigen Bundestagsdebatten grundsätzlich gegen eine Grundgesetz-Änderung.
Was das Justizministerium vorschlägt
Der Begriff „Rasse“ soll nach den Vorstellungen von Lambrecht und der SPD nicht ersatzlos gestrichen werden. Das Justizministerium schlägt stattdessen vor, das Merkmal „aus rassistischen Gründen“ hinzuzufügen. Eine Formulierung, die weiterhin Diskriminierungen unter Strafe stellen würde, ohne den Begriff im Gesetz zu nutzen und damit die Kategorie „Rasse“ anzuerkennen.
Juristisch wäre das ein gangbarer Weg, meint Lambrecht. „Dazu haben wir mehrere Expertenrunden gehabt“, sagt sie, in den Ministerien sei die Formulierung abgestimmt. Doch in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU stößt der Vorschlag offenbar weiterhin auf Bedenken. Trotzt der Einigung im Koalitionsausschuss gibt es dazu keine Einigkeit zwischen SPD und Union.
Was die Union kritisiert
Die Vorbehalte in der Union richten sich offiziell gegen die alternative Formulierung. „Rassistische Gründe“ würden als Ersatz nicht ausreichen, es würde eine Gesetzeslücke entstehen, die Diskrimierung weiterhin ermöglichen könnte, heißt es von dort. Ähnlich argumentieren auch die Grünen im Bundestag. Für die notwendige Grundgesetzänderung braucht die große Koalition auch Stimmen aus der Opposition, weil dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist.
Die Kritik kann Lambrecht mit Verweis auf die Abstimmung in ihrem Ministerium und im Kabinett nicht nachvollziehen. „Es ist die Fraktion, die da auf der Bremse steht“, kritisiert sie vor allem die Union. Ganz explizit sagte sie am Montag nach der Sitzung des Koalitionsausschusses, dass es mit Innenminister Horst Seehofer eine Einigung über die Formulierung gebe, über die im Kabinett Einigkeit herrscht. Auch die gemeinsame Arbeit an dem Entwurf sei gut und hilfreich gewesen, lobt sie den CSU-Innenminister.
Wie es jetzt weitergeht
Lambrecht ist skeptisch, dass es in dieser Legislaturperiode noch eine Abstimmung im Bundestag über die Grundgesetzänderung gibt – eben weil die Bundestagsfraktion von CDU/CSU den Vorstoß weiterhin blockiert. Den Unmut darüber kann Lambrecht am Montag nicht verhehlen, verweist aber trotzdem darauf, dass sie auch an anderer Stelle für rechtsextremes Gedankengut sensibilisieren wird: Die NS-Vergangenheit will sie beispielsweise fest in der juristischen Ausbildung verankern. Es ist eine der Maßnahmen, die im Katalog zum Demokratiefördergesetz stehen. Es ist einer von ursprünglich 89 Punkten zur stärkung der wehrhaften Demokratie, über die es – aller Voraussicht nach – Einigkeit gibt.