Ralf Wieland: „Zwischen NPD und AfD gibt es deutliche Unterschiede“
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Das Berliner Abgeordnetenhaus hat sich Ende Oktober konstituiert. Wie haben Sie die erste Sitzung wahrgenommen?
Für neue Abgeordnete ist die konstituierende Sitzung natürlich immer ein ganz besonderer Tag. Sie sind zum ersten Mal im Plenarsaal, sitzen zum ersten Mal auf ihrem Platz für die kommenden fünf Jahre. Ich habe das ja schon öfter erleben dürfen. Technisch hat alles sehr gut geklappt und das Parlament hat sich würdevoll dargestellt. Alterspräsidentin Bruni Wildenhein-Lauterbach hat eine sehr schöne, eindrückliche Rede gehalten und auch die Wahl des Präsidiums ist reibungslos vonstattengegangen. Ich bin mit dem Auftakt sehr zufrieden.
Die Abgeordneten der AfD haben gegen die Geschäftsordnung gestimmt – ein Affront aus Ihrer Sicht?
Nein. Eine Debatte über die Geschäftsordnung hat es vor fünf Jahren auch gegeben. Damals waren die Piraten nicht damit einverstanden. Diesmal haben CDU und Grüne Änderungsanträge für die Besetzung des Hauptausschusses gestellt, die an den betreffenden Ausschuss überwiesen wurden. Die AfD wollte einen Passus ergänzen. Das hat keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus gefunden. Danach hat sie die Geschäftsordnung in Gänze abgelehnt. Der Vorgang ist etwas ungewöhnlich, da die Geschäftsordnung ja die Grundlage unserer Arbeit für die kommenden fünf Jahre ist, aber die Welt geht davon nicht unter.
Als die NPD im Schweriner Landtag saß, hatten sich die übrigen Fraktionen darauf verständigt, nie für Anträge der Rechten zu stimmen. Ist solch ein „Schweriner Weg“ auch für den Umgang mit der AfD denkbar?
Die Frage müssen die einzelnen Fraktionen im Parlament beantworten. Als Präsident des Abgeordnetenhauses sind mein Präsidium und ich für den reibungslosen Ablauf der Sitzungen verantwortlich und, dass alle Abgeordneten die Rechte bekommen, die ihnen gesetzlich zustehen. Ich kann nur meine Eindrücke schildern. Die sehen bisher so aus, dass die übrigen Fraktionen erst einmal abwarten, wie sich die Abgeordneten der AfD in den Parlamentsalltag einbringen, um dann zu entscheiden, wie sie mit ihnen und ihrer Arbeit umgehen wollen. Klar ist auch, dass es zwischen der NPD und der AfD zumeist deutliche Unterschiede gibt und wir keinerlei Entscheidungen zu Lasten der AfD getroffen haben.
Im aktuellen Abgeordnetenhaus sind 160 Abgeordnete in sechs Fraktionen vertreten – deutlich mehr als bisher. Macht das die Arbeit des Parlaments schwieriger?
Wir hatten in der Vergangenheit schon deutlich mehr Abgeordnete und haben das Parlament ja bereits verkleinert. Dass es jetzt wieder so viele sind, hängt vor allem mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten zusammen. In der vergangenen Legislatur hatten wir uns im Rahmen einer kleinen Parlamentsreform auf einen Beginn der Sitzungen um elf und ein Ende um 19 Uhr sowie auf bestimmte Zeitkontingente für die Redebeiträge der Abgeordneten verständigt. Mit sechs Fraktionen funktioniert das nicht mehr. Deshalb werden die Parlamentssitzungen in Zukunft um zehn Uhr beginnen. Damit haben wir pro Sitzungstag 60 Minuten Redezeit für eine weitere Fraktion untergebracht. Abgesehen davon wird es sicher mehr Arbeit geben, vor allem für den Senat. 160 Abgeordnete stellen mehr Schriftliche Anfragen als 149. Die müssen alle in angemessener Zeit beantwortet werden. Auch mussten die Räume für mehr Abgeordnete und mehr Fraktionen aufgeteilt werden. Gemeinsam mit der Verwaltung haben wir da aber Möglichkeiten gefunden, die alle zufriedenstellen sollten.
Die Abgeordnetenhauswahl hat gezeigt, dass viele Berlinerinnen und Berliner das Vertrauen in die Politik verloren haben. Wie wird das Abgeordnetenhaus darauf reagieren?
Mein festes Ziel ist, die politische Bildungsarbeit zu verstärken. Das Berliner Abgeordnetenhaus ist sehr offen, gerade für junge Menschen. Wir stellen auf verschiedenste Art und Weise unsere Arbeit vor, bringen Jugendliche mit Parlamentariern ins Gespräch. Aber das reicht nicht. Deshalb schlage ich ein neues Veranstaltungsformat vor, mit dem das Abgeordnetenhaus abseits von Wahlkämpfen an die Schulen geht und erklärt, wo die Vorzüge einer parlamentarischen Demokratie liegen. Jede Investition in die politische Bildungsarbeit junger Menschen zahlt sich dauerhaft positiv aus. Davon bin ich fest überzeugt. Wir haben etwas in der Art auch bereits vor der Wahl ausprobiert: Im Rahmen des Projekts „It’s your choice“ sind Abgeordnete aller Fraktionen an insgesamt 13 Schulen gewesen und haben mit den Schülerinnen und Schülern über unterschiedliche Themen diskutiert. Das war ein großer Erfolg, den ich gerne verstetigen und möglicherweise ausweiten würde.
Bei den Wahlergebnissen und der Wahlbeteiligung ist auch eine Spaltung zwischen den Innenstadt- und den Randbereichen Berlins deutlich geworden. Wie wollen Sie darauf reagieren?
Da sehe ich vor allem die Abgeordneten und die Parteien in der Pflicht, sich stärker für ihren jeweiligen Wahlkreis zu engagieren. Ich rate auch dringend den Parteien dazu, die Wahl dahingehend zu analysieren und Schlüsse für die künftige Arbeit zu ziehen. Als Abgeordnetenhauspräsident sind meine Möglichkeiten in dem Bereich begrenzt. Ich kann ja den Tag der offenen Tür nicht nach Marzahn-Hellersdorf verlegen. Natürlich werde ich auch weiterhin das Abgeordnetenhaus bei Terminen in der gesamten Stadt vertreten, egal, ob sie in Mitte stattfinden oder in Spandau.
An der Amtsführung des Präsidiums werden Sie also nichts ändern?
Man kann immer etwas besser machen. Wir machen eine Menge, allerdings wird das leider nicht immer wahrgenommen. Der Fokus der Medien liegt in einem Stadtstaat wie Berlin stark auf der Regierung. Wenn der Senat einen Tag der offenen Tür veranstaltet, wird darüber breit berichtet. Wenn das Abgeordnetenhaus das macht, interessiert es die Journalisten kaum. Dazu kommen noch die zahlreichen Aktivitäten von Bundestag und Bundesregierung. Ich will mich gar nicht beschweren, aber das gehört zur Wahrheit eben dazu. Wir sind ein offenes Haus, bei uns finden Veranstaltungen statt, wir kümmern uns um die Wählerinnen und Wähler – mehr können wir als Abgeordnetenhausverwaltung kaum tun. Allerdings sollten sich die Parteien überlegen, ob sie wirklich genug Zeit aufwenden, um mit den Menschen zu reden. Der Zeitaufwand für innerparteiliche Diskussionen ist schon sehr groß. Das ist keine Frage einer Geschäftsordnung, sondern eine Frage der Prioritäten.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.