Ralf Stegner: „Aufgeben kommt in meinem Wortschatz nicht vor“
CDU, FDP und Grüne haben gerade eine Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein geschlossen. Was bedeutet sie für das Land?
Die Jamaika-Koalition ist ein reines Zweck- und Machtbündnis. Die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW zuvor hatte ein breites inhaltliches Fundament. Jetzt kommen da Partner auf der Grundlage des allerkleinsten gemeinsamen Nenners zusammen. Was das für die Menschen in Schleswig-Holstein bedeutet, wird sich zeigen. Ich fürchte, bislang ging es um die gar nicht, sondern nur um Macht. Im Koalitionsvertrag ist von den Wahlversprechen der drei Parteien nicht mehr viel übrig. Stattdessen finden sich dort viele Formelkompromisse. Und wenn Herr Günther sagt, die Hauptaufgabe sei, Ökonomie und Ökologie zu vereinen, wird eines jetzt schon klar: Soziale Gerechtigkeit spielt für die neue Regierung eine untergeordnete Rolle. Dennoch wird es nun erstmal einen medialen Honeymoon für die neue Regierung geben. Die SPD jedenfalls stellt sich auf eine selbstbewusste Oppositionsarbeit ohne Larmoyanz ein. Dazu gehört auch, die Widersprüche zwischen den drei Koalitionspartnern aufzuzeigen.
Sie haben lange versucht, Gespräche über eine Ampelkoalition der SPD mit Grünen und FDP zu führen. Woran sind die gescheitert?
Im Nachhinein muss man sagen, hatten sowohl die FDP als auch Teile der Grünen-Führung kein Interesse, eine Ampelkoalition mit der SPD ernsthaft zu sondieren. Beide wollten das Bündnis mit der CDU. Ich habe einmal mehr die Erfahrung gemacht, dass das Wort, das Menschen einem geben, unterschiedlich zählt. Das öffentlich gesprochene Wort und das im Vertrauen geäußerte klaffen bei manchen Gesprächspartnern auseinander. Herr Kubicki von der FDP hat mich öffentlich als Erdogan der SPD bezeichnet. Ich fand aber auch befremdlich, wie der Grüne Robert Habeck die SPD via Tagesthemen öffentlich ermahnt hat. Seine telegene Zerknirschtheit über die Sozialdemokratie diente wohl hauptsächlich dem Zweck, seiner Partei eine Koalition mit der CDU schmackhaft zu machen.
Die SPD ist vom schlechten Wahlergebnis ziemlich überrascht worden. In den Umfragen lag sie noch kurz vor der Wahl vorn. Woran hat es aus Ihrer Sicht gelegen?
Nach einer Wahlniederlage ist man natürlich immer klüger. Und wie immer gibt es nicht den einen Grund, sondern vieles kommt zusammen, bis hin zu Wahlplakaten in Grautönen. Am Ende hat uns die Zuspitzung gefehlt, wir haben unsere Ziele den Menschen nicht nahebringen können. Die Debatte über die eher privaten Äußerungen unseres Spitzenkandidaten hat wohl auch ihren Anteil gehabt. Fest steht: Wir hatten zweieinhalb Wochen vor der Wahl einen Stimmungswechsel, der uns am Ende die Mehrheit gekostet hat. Es gibt aber auch Positives: So haben uns 90 Prozent unserer Wähler wegen unseres Programms gewählt. Am Ende waren es aber bei 2,3 Millionen Wahlberechtigten doch 3000 Stimmen weniger als vor fünf Jahren, was in einem kleinen Land wie Schleswig-Holstein einen großen Effekt haben kann.
Sie sind bereits kurz nach der Wahl einstimmig zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. In der Partei gab es aber auch Kritik, sogar offene Rücktrittsforderungen. Haben Sie darüber nachgedacht, den Parteivorsitz nach der Wahlniederlage aufzugeben?
Ich will es mir nicht einfach machen und unserem Spitzenkandidaten Torsten Albig die alleinige Schuld an dieser Wahlniederlage zuschieben. Das wäre unsolidarisch und unfair. Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen. Natürlich habe auch ich Fehler gemacht. Die Kritik, die an mir geäußert wurde, nehme ich ernst, kann sie aber auch einordnen. Uneingeschränkt positive Würdigungen von Politikern gibt es nur an zwei Tagen: wenn sie zurücktreten und wenn sie gestorben sind. Ich bin jemand, der sehr dezidiert seine Positionen vertritt und kantig ist. Das gefällt nicht jedem. Über die einstimmige Wahl zum Fraktionsvorsitzenden habe ich mich auch deshalb gefreut und sehe sie als Rückenwind für die Aufgaben, die vor uns liegen. Aufgeben kommt in meinem Wortschatz nicht vor.
Eine große Aufgabe ist der Bundestagswahlkampf. Wirkt das Ergebnis der Landtagswahl bei den Wahlkämpfern in Schleswig-Holstein noch nach?
Natürlich sind wir alle enttäuscht über den Wahlausgang. Wir sind uns aber auch sehr bewusst, dass es im Bund um etwas geht. Die Frage, ob Angela Merkel vier Jahre weiterregiert oder wir mit Martin Schulz einen Politikwechsel schaffen, wird auch in Schleswig-Holstein beantwortet. Deshalb ist die SPD dort hoch motiviert und angriffslustig. Wir werden unseren Beitrag zu einem guten Ergebnis leisten. Es wird jetzt darum gehen, Themen zuzuspitzen – und da sehe ich durchaus meine Fähigkeiten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.