#R2G: Warum Rot-Rot-Grün mehr als ein Phantom ist
Das „Hinterzimmer“ ist ein Kampfbegriff, der dazu dient, neue Ideen in der Politik zu diskreditieren. Das Wort klingt nach verschlossenen Türen, hinter denen eine kleine, verschworene Gruppe still und heimlich die Fäden zieht. Mit der Realität im politischen Betrieb haben solche Verschwörungstheorien freilich meist wenig zu tun – trotzdem taucht das Klischee vom „Hinterzimmer“ immer wieder auf. Auch die Anhänger von Rot-Rot-Grün (R2G), die Fans einer Mitte-Links-Regierung im Bund, mussten sich diesen Vorwurf in der Vergangenheit immer wieder anhören.
2008: Rot-rot-grüner „Kindergarten“
Heute ist das alles anders: In Berlin und Thüringen stellen SPD, Linke und Grüne gemeinsam die Regierung, R2G ist längst in aller Munde. Selbst prominente Bundespolitiker wie SPD-Chef Sigmar Gabriel denken inzwischen laut über eine Koalition mit Linkspartei und Grünen nach. Die Katze ist aus dem Sack.
Die Idee einer linken Mehrheit aus Sozialdemokraten, Linkspartei und Grünen ist nicht ganz neu: In der SPD verfolgt die „Denkfabrik“ der Bundestagsfraktion das Projekt R2G schon seit einigen Jahren. Der Thinktank wurde 2004 von vorwiegend jungen und eher linken SPD-Abgeordneten gegründet, die zunächst nur das sozialdemokratische Profil ihrer Partei schärfen wollten. Damals mit dabei: Andrea Nahles, inzwischen Arbeitsministerin, Florian Pronold, der heutige Chef der Bayern-SPD, sowie Dietmar Nietan, heute Bundesschatzmeister der SPD. Ab 2008 beschäftigten sich die Denkfabrik-Mitglieder vermehrt mit einer Öffnung der SPD in Richtung Linkspartei und luden deren Vertreter ein. Sprecher der Gruppe waren damals – und sind es bis heute – die SPD-Abgeordneten Bärbel Kofler und Frank Schwabe. Sofort folgte der Spott manch älterer Fraktionskollegen: Die rot-rote Gesprächgruppe im Berliner „Café Walden“ sei nichts anderes als ein „Kindergarten“, hieß es damals abfällig.
Das Phantom „Oslo-Gruppe“
Nachdem ab 2009 auch Grünen-Abgeordnete wie Anton Hofreiter und Monika Lazar begannen, als Gäste an den Gesprächen der Denkfabrik teilzunehmen, erweiterte sich die Runde von Rot-Rot schnell zu R2G. Auf der Suche nach einem geeigneten Namen verpassten die Medien dem Kreis kurzerhand das Label „Oslo-Gruppe“ – benannt nach der rot-rot-grünen Koalition, die damals in Norwegen regierte. Eine Selbstbezeichnung war der Begriff „Oslo-Gruppe“ jedoch nie – trotzdem geistert er bis heute durch die Medienlandschaft, wenn es um R2G und die „Denkfabrik“ geht.
Ebenfalls aktiv in Sachen R2G ist das „Institut für Solidarische Moderne“ (ISM), das sowohl Sozialdemokraten als auch Linke und Grüne als Mitglieder hat. Gegründet wurde das ISM im Januar 2010, um nach eigener Darstellung die „tiefgehenden programmatischen und strategischen Defizite der politischen und sozialen Linken“ zu überwinden. Das Institut um Politiker wie Andrea Ypsilanti (SPD) oder Axel Troost (Linke) versucht, Brücken zwischen den verschiedenen linken Lagern zu schlagen.
Ein weiterer Thinktank im R2G-Umfeld ist der 2011 gegründete Berliner Verein „Denkwerk Demokratie“. Die Mitglieder kommen aus den Gewerkschaften, der Umweltschutzbewegung sowie aus den Reihen von SPD und Grünen. Gemeinsam wollen sie einen Gegenpol zu Konservativen und Wirtschaftsliberalen bilden – in anderen Worten: eine Mehrheit diesseits der großen Koalition, so etwas wie Rot-Rot-Grün also. Mit dabei sind SPD-Chef Sigmar Gabriel, Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sowie SPD-Generalsekretärin Katarina Barley.
Immer mehr R2G-Initiativen
Dass Barley und andere Spitzenpolitiker wie etwa der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner für R2G zu haben wären, ist längst kein Geheimnis mehr. Seit Oktober 2016 organisiert nun auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, regelmäßige Gesprächsrunden mit Abgeordneten aller drei Parteien. Bis zur Bundestagswahl 2017 soll der „rot-rot-grüne Trilog“ einmal im Monat stattfinden. Auch im „Forum DL21“, einem Verein linker Sozialdemokraten, wird schon länger über R2G diskutiert – ebenfalls mit Vertretern von Linken und Grünen. Und dass die Jusos nichts lieber wollen als eine Bundesregierung links der Mitte, dürfte wohl auch niemanden überraschen.
Kurz: In Sachen R2G hat sich viel getan in diesem Jahr – ein Thema nur fürs „Hinterzimmer“ ist Rot-Rot-Grün also schon lange nicht mehr.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.