Inland

Quantität und Tradition

von Dirk Farke · 12. September 2012

Es ist die umfangreichste Verfassungsbeschwerde, die bisher in der Geschichte der Bundesrepublick eingereicht wurde. Das Bündnis „Mehr Demokratie“ wendet sich zusammen mit mehr als 37.000 Bürgerinnen und Bürgern gegen die Zustimmungs- und Begleitgesetze zu ESM und Fiskalpakt. Aber Quantität allein hat die Verfassungshüter noch nie beeindruckt.

Geklagt hatten in Karlsruhe außerdem der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU), eine konservative Professorengruppe um den Juristen Karl Albrecht Schatzschneider und die gesamte Bundestagsfraktion der Partei Die LINKE. Im Nachhinein angeschlossen hat sich der Klage auch die Piratenpartei.

Mehr Zeit als üblich
Seine Entscheidung verkündet der zweite Senat am Mittwoch über die Eilanträge der Kläger gegen die am 29. Juni vom Bundestag beschlossenen Zustimmungsgesetze zum Euro Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt. Normalerweise entscheidet Karlsruhe diese Anträge innerhalb von drei Wochen in einem Beschluss ohne mündliche Verhandlung. Diesmal jedoch gab es eine mündliche Verhandlung.

Sie fand statt am 10. Juli und Gerichtspräsident Andreas Voßkule hielt es für angebracht, sich für die Entscheidung etwas mehr Zeit als üblich auszubitten und, zumindest schon mal im groben, in die inhaltliche Prüfung einzusteigen. Und das macht in diesem Fall durchaus Sinn. Denn ergeht heute die einstweilige Anordnung nicht, können diese Gesetze sofort in Kraft treten. Da sie völkerrechtlich bindend sind, können sie von keiner Regierung und keinem Bundestag mehr rückgängig gemacht werden, selbst dann nicht, wenn das Gericht im Hauptsacheverfahren, die Verfassungswidrigkeit konstatieren muss.

Planung ohne demokratische Legitimation
Inhaltlich geht es vor allem darum, ob zentrale Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik dem Bundestag entzogen werden dürfen und dieser damit zu einer inhaltslosen Hülle wird, oder, wie es der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, in der mündlichen Verhandlung formulierte: „ ... darum, die Politik des Sozial- und Demokratieabbaus in Europa zu stoppen.“

Deutschland haftet mit bis zu 190 Milliarden Euro für Kredite, die der ESM, der als eine internationale Finanzinstitution nahezu ohne demokratische Legitimation mit Sitz in Luxemburg geplant ist, im Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro an die Euro-Staaten vergeben darf. Sollten jedoch andere Euro-Mitglieder als Garantiegeber für diese Kredite ausfallen, kann sich der Anteil Deutschlands deutlich erhöhen.

Verlust an Mitentscheidung durch Bürger und Parlament
Wird die Herausgabe diese Gelder von der ESM verlangt, stünden sie für den Bundeshaushalt nicht mehr zur Verfügung. Denkbar ist sogar, dass die Risiken hieraus die Steuereinnahmen des Bundes, die im vergangenen Jahr bei knapp 250 Milliarden lagen, übersteigen. Auf der europäischen Ebene aber fehlt es sowohl den Parlamentariern, als auch den Bürgern, als eigentlicher Souverän, an Einflussmöglichkeiten, um diesen immensen Verlust an Mitentscheidungsrechten zu kompensieren.

Die EU würde im Fall einer Ratifikation wie ein Bundesstaat funktionieren. Dies mag man gut oder schlecht finden, aber hierüber müsste, ganz so wie es das Grundgesetz in seinem letzten Artikel, dem 146ger, vorsieht, das Volk als Souverän in einer Volksabstimmung entscheiden. Und genau so hat es auch der zweite Senat selbst in der Lissabon-Entscheidung am 30. Juni 2009 postuliert.

Dennoch ist vor zu viel Optimismus, dass Karlsruhe heute die aktuellen Verträge zur Euro-Rettung erst einmal stoppt, zu warnen. Bisher haben die Richter noch jede im Zusammenhang mit Europa stehende verfassungsrechtliche Streitfrage zugunsten der supranationalen Organisation gewertet. Es ist zu befürchten, dass sie an ihrer traditionellen Rechtsprechung festhalten.

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