Presseschau zum Wahlausgang: Scholz siegt, Laschet verliert
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Frankfurter Rundschau: Scholz überrascht alle
„Der Mann aus Hamburg hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten tatsächlich sehr vieles sehr richtig gemacht. Der Wahlkampf ist gut gelaufen, außergewöhnlich gut sogar. Es gab keine ernsthaften Pannen oder Schnitzer, und der Kandidat hat geliefert. Das letzte Mal, dass die SPD das von sich behaupten konnte, war 2002. Damals hieß der Kandidat noch Gerhard Schröder und war Bundeskanzler. Scholz wird als Retter der SPD aus dem Jammertal in die Geschichte eingehen, das hat er jetzt schon sicher. Er hat den Abwärtstrend nicht nur gestoppt, sondern ins Gegenteil verkehrt. … Ihre Geschlossenheit und neue Stärke wird der SPD in dem nun anstehenden Machtpoker um das Kanzleramt helfen. Die spannende Frage wird sein, ob es Olaf Scholz in den kommenden Wochen und Monaten wirklich gelingt, eine Koalition zu schmieden und Bundeskanzler zu werden.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die SPD kann wieder feiern
„Kurz vor 18 Uhr kann man im Willy-Brandt-Haus eine Stecknadel fallen hören. Stille vor der ersten Prognose. Dann wächst der Balken der Union, nicht sehr hoch. Dann der rote, der sozialdemokratische. Und als der ein winziges Stück am schwarzen Balken vorbeizieht, bricht für Sekunden Jubel aus. Es folgt ein kurzes Innehalten, die erste Prognose für Berlin kommt. Wieder Jubel. Dann Mecklenburg-Vorpommern: Riesenjubel. Die SPD liegt überall vorn… Als SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kurz nach 19 Uhr in die Parteizentrale kommt, wird er dort gefeiert. Die Mitglieder rufen: „Olaf, Olaf!“ Dazu Kameras dicht an dicht, Reporter aus aller Welt, Gäste aus dem ganzen Land. … Scholz zögert nicht lange. Zehn Minuten später tritt er vor seine Anhänger. Mehrfach setzt er an, um zu sprechen, der Jubel will kaum enden. Scholz sagt: „Die Bürgerinnen und Bürger möchten, dass es einen Wechsel gibt in Deutschland und dass der nächste Kanzler Olaf Scholz heißt.“ Mit „Pragmatismus, Zuversicht und Geschlossenheit“ werde man angehen, was da komme, kündigt er an. Da jubelt die SPD.“
tagesschau.de: Ein Befreiungsschlag der SPD
„Es ist brechend voll im und vor dem Willy-Brandt-Haus. Manche Sozialdemokraten liegen sich in den Armen, feiern und sind sich einig: Die SPD ist wieder da! … Der Gegner wurde im Wahlkampf auch immer klar benannt: Die Union, mit der die SPD zähneknirschend in der Großen Koalition zusammen regiert hat. Manche Sozialdemokraten sind immer noch davon traumatisiert, erzählen sie, wie schwer es war, sich auf gemeinsame Gesetze mit der Union zu einigen. Darum wirkt dieser Abend im Willy-Brandt-Haus wie ein Befreiungsschlag der SPD.“
Der Spiegel: Warnung an Grüne vor Jamaika – Tut es nicht!
„Nur 15 Prozent der Grünenanhänger halten laut Spiegel-Umfrage eine Koalition mit CDU und FDP für erstrebenswert. Und nicht nur diese würde es wohl zu Recht irritieren, wenn das Ergebnis dieser Wahl am Ende ein mit den Stimmen einer grünen Fraktion gewählter Bundeskanzler Armin Laschet wäre – der Mann, der etwa nach der Flutkatastrophe im Sommer sagte, wegen eines solchen Tages ändere man die Politik nicht. Ein Kanzler Laschet wäre geradezu eine Umkehr der politischen Verschiebung, die mit dieser Wahl stattgefunden hat. Olaf Scholz hat gegen jede Wette und Wahrscheinlichkeit seine SPD aus dem ewigen Umfragetief an die Spitze gehoben. Armin Laschet, noch nicht einmal von den eigenen Leuten glaubhaft unterstützt, hat seine CDU hingegen in den Abgrund stürzen lassen. Sein schlaffer Auftritt bei der Elefantenrunde war Sinnbild für die Ausgebranntheit der CDU nach 16 Jahren an der Macht.“
Focus: Union dünn wie Suppe ohne Einlage
„Was das bürgerliche Lager von CDU und CSU da über mehrere Monate geboten hat, war die lausigste Vorstellung, die Konservative in diesem Land je hingelegt haben: Null Teamgeist. Keine Führungsleistung. Geschichtsvergessen wurde taktiert und finassiert. Die gedankliche Armut in allen wichtigen Zukunftsfragen war mitleiderregend. Es gab viele Einzelvorschläge, aber die politische Konsistenz blieb dünn wie eine Hühnersuppe ohne Einlage.“
Die Welt: Laschet steht für neuen Negativwert
„Die Union hat die miserablen 32,9 Prozent der Bundestagswahl 2017, die die Partei damals erschütterten, noch einmal stark unterboten. Mit Laschet hat die Partei einen neuen negativen Referenzwert definiert. Selbst die Substanz ihrer Wählerschaft bröckelt: Massenhaft sind gerade Ältere zur SPD übergelaufen. Dies wäre unter normalen Umständen ein Grund für den Rückzug der Parteiführung, für einen beschämten Gang in die Opposition, für ein Überdenken der programmatischen Ausrichtung, mithin für eine völlige Erneuerung.“
Kölner Stadt Anzeiger: Bruchlandung für Laschet
„Auch mit der gewahrten Option aufs Kanzleramt ist das desaströse Ergebnis der Union eine Bruchlandung, aber wenigstens kein Totalschaden für den Spitzenkandidaten Armin Laschet. Wie stark seine Position sein wird, hängt auch von seinem auf Krawall gebürsteten Widersacher Markus Söder ab. Dem geschwächten NRW-Ministerpräsidenten steht mithin erneut eine parteiinterne Zerreißprobe bevor. Schafft er es am Ende nicht, ein Regierungsbündnis zu schmieden, dürfte seine politische Karriere beendet sein.“