Inland

Presseschau: Führt der Steuertriumph in Venedig Scholz ins Kanzleramt?

Seit Jahren arbeitet Olaf Scholz an einer globalen Mindestbesteuerung. Die haben die G20-Finanzminister*innen nun beschlossen. Selbst der SPD oft kritisch gegenüberstehende Blätter loben den Kanzlerkandidaten. Es kommt Bewegung in den Wahlkampf.
von Lars Haferkamp · 12. Juli 2021
Erfolgreicher Verhandler im Blickpunkt der Weltpresse: Bundesfinanzminister Olaf Scholz am 10. Juli 2021 bei einer Pressekonferenz zum Treffen der G20-Finanzminister in Venedig.
Erfolgreicher Verhandler im Blickpunkt der Weltpresse: Bundesfinanzminister Olaf Scholz am 10. Juli 2021 bei einer Pressekonferenz zum Treffen der G20-Finanzminister in Venedig.

Besser hätte es für den Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz nicht laufen können: Die G20-Finanzminister*innen beschließen in Venedig sein Konzept einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen. Nicht nur die internationale, auch die deutsche Presse zeigt sich beeindruckt.

Handelsblatt: Olaf Scholz triumphiert in Venedig

„ … ab sofort ist Venedig für den Sozialdemokraten eine bedeutende Wegmarke in seiner politischen Biografie. Die historische globale Mindeststeuer, die die G20-Finanzminister am Samstag beschlossen haben, hatte der Bundesfinanzminister 2018 ins Spiel gebracht. Die Deutschen wurden damals für ihren Vorstoß für verrückt erklärt. Jetzt wird die Mindeststeuer Realität. Verrückt. Scholz kostet den für Politiker seltenen Moment des absoluten Erfolgs aus. In Venedig erlebt man einen Bundesfinanzminister, der so gut aufgelegt ist wie selten (…)

Es läuft ja auch gerade rund für den SPD-Kanzlerkandidaten. Venedig garantiert Scholz nicht nur wohlinszenierte Gipfel-Bilder, sondern er bringt aus Italien mitten im Wahlkampf eben auch eine Trophäe mit nach Hause, die seine Gravur trägt. Mit der Mindeststeuer kann der SPD-Kanzlerkandidat das Image des Machertyps frisch aufpolieren. Während die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit Petitessen in Lebensläufen und Büchern um ihre Glaubwürdigkeit kämpft, sorgt der Vizekanzler mal eben für mehr Steuergerechtigkeit auf der Welt – so lautet die Sub-Botschaft der Scholz-Bilder, die aus Venedig in die deutschen Wohnzimmer flimmern.“

Tagesspiegel: Olaf Scholz wittert neues „Momentum“

„Scholz versucht sich hier in der Lagunenstadt als der zu inszenieren, der das globale Casino Royale etwas an die Kette legt. Er spricht von einem „historischen Beschluss“, dass sich die Finanzminister der G20-Staaten auf die Einführung einer Mindeststeuer von 15 Prozent für global agierende Unternehmen geeinigt haben, damit müssten auch Amazon, Apple und Co. in Deutschland künftig hohe Summen an den Fiskus abführen, aber auch deutsche Autokonzerne in den USA. Doch welche Konzerne wieviel Steuern in welchen Staaten künftig genau mehr bezahlen sollen, ist eine der offenen Fragen. Genauso, ob am Ende genug Länder verbindlich mitmachen.

Scholz meint dennoch optimistisch: „Endlich können sich große Konzerne nicht mehr ihrer Steuerpflicht entziehen“. Die Steuer solle ab 2023 greifen. Es hatte kaum jemand daran geglaubt, als er schon zu Beginn seiner Amtszeit immer wieder dieses Ziel nannte. Aber er ist hartnäckig – und kann Kompromisse schmieden. Es passt für ihn zu diesem Wochenende, dass er und die SPD auch zu Hause etwas Auftrieb verspüren. „Der Wendepunkt“, jubiliert der SPD-Stratege Michael Rüter. Erstmals seit langer Zeit ist die SPD in einer Umfrage gleich gezogen mit den Grünen, beide bei 17 Prozent in einer Insa-Umfrage für die „Bild am Sonntag“.

Bild am Sonntag: Über Venedig ins Kanzleramt?

Er wurde belächelt. Wird doch eh nix, hieß es. Und nun steht Olaf Scholz beim G20-Gipfel in Venedig und sagt mit stolzgeschwellter Brust über das Konferenz-Ergebnis: „Das wird die Welt besser machen.“ Scholz meint die Mindestbesteuerung von Unternehmen. Weltweit sollen ab 2023 auch Amazon und Co. 15 Prozent auf Gewinne zahlen.

Jahrelang trug Scholz die Idee vor. Gestern haben die 20 größten Industrie- und Handelsnationen die globale Steuerreform beschlossen. 131 Länder wollen bislang mitmachen. Steueroasen wie Irland sträuben sich. Details und Ausnahmen müssen auch noch verhandelt werden. Es bleibt also kompliziert. Trotzdem kann Scholz bei G20-Gipfel, seinem letzten großen Auftritt als Finanzminister, einen Erfolg einfahren, an den nur wenige geglaubt hatten. (…)

Im August soll der Wahlkampf richtig losgehen. Dann soll auch sein Steuerkonzept endgültig fertig sein. Dass CDU/CSU trotz Corona-Schulden die Reichen um 30 Milliarden Euro pro Jahr entlasten wollen, ist für ihn ein „gottvergessener Plan“. Daran werde er im Wahlkampf immer wieder erinnern.“

Süddeutsche Zeitung: Globalist auf dem Marktplatz

„Venedig war zweifellos ein Höhepunkt in der Laufbahn des fleißigen SPD-Vorarbeiters. Lange Zeit musste der Minister gegen das Image ankämpfen, der sozialdemokratische Nachlassverwalter des CDU-Vorgängers Wolfgang Schäuble zu sein. Nun steht er plötzlich als Reformer da. In seiner Bewerbungsmappe für das Kanzleramt liegt die erste globale Steuerreform seit 100 Jahren. Es war eines dieser Vorhaben von Scholz, auf die man keinen Cent hätte wetten mögen, ähnlich wie auf seiner Kanzlerkandidatur nach der Niederlage im Rennen um den Parteivorsitz. Und dann hat er es doch geschafft. Es sind diese Erfahrungen, die ihn auf eine Sensation hoffen lassen.

Unbestritten ist, dass Bewegung in den Wahlkampf kommt. Die Spitzenkandidaten rücken immer mehr ins Zentrum der Kampagnen. Darauf setzt Scholz alle Hoffnung. Nicht glänzend, aber besonnen und kundig hat er die Bundesrepublik durch die Pandemie gesteuert. Er hat (mit anderen) über den EU-Corona-Fonds dafür gesorgt, dass Europa zusammengeblieben ist und nun multilaterale Vereinbarungen wie die zur Mindestbesteuerung und für einen Klimaclub vorantreibt. Dass (…) US-Finanzministerin Janet Yellen mit ihm die globale Steuerreform der G20 präsentiert, spiegelt den Respekt.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Heute ein kleiner Steuerkönig

„Auch wenn Amerikas Finanzministerin Janet Yellen Wasser in den Wein aus Venetien gießt, bleibt das Ergebnis für Olaf Scholz erfreulich. Der Deutsche genießt Zuspruch für sein Vorhaben, das globale Steuersystem neu aufzustellen. (…)

Im deutschen Finanzministerium hat man früh die Elemente der nun verabredeten Neuregelung entwickelt. Scholz hat dieses Projekt auf die internationale Ebene gehoben und befördert. Doch ohne den Machtwechsel in Amerika wäre es bei einem Gedankenspiel geblieben. Mit ihm kam neuer Schwung in die Sache. Ob die restlichen Arbeiten so schnell abgeschlossen werden, wie sich das Scholz erhofft, wird man sehen. Ob ihm das Projekt im Wahlkampf hilft, ist eine andere Frage. Wenigstens durfte er in Venedig einen kleinen Erfolg feiern."

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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