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Politisches Interesse der Studierenden sinkt auf Tiefstand

Noch nie haben Studierende sich weniger für Politik interessiert, wie der 12. Studierendensurvey des Bildungsministeriums zeigt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Politik nicht ganz unschuldig daran ist.
von Hendrik Benjamin Iding · 28. Oktober 2014
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Eine der Ursachen für das geringe Interesse an Politik ist der Bologna-Prozess, in dem fast alle Studiengänge in Deutschland auf das Bachelor-Master-System umgestellt wurden. Ein wichtiger Grund für die ab 1999 erfolgte Umstellung war die bessere „employability“ von Akademikern, also die bessere Marktverwertung. Dies sollte unter anderem durch die Einführung einer verbindlichen Regelstudienzeit und eines Punktesystems zur Leistungserfassung erreicht werden. Einige der Folgen dieser Reform lassen sich im 12. Studierendensurvey nachlesen, der am Dienstag offiziell von Bildungsministerin Johanna Wanka in ihrem Ministerium vorgestellt wurde.

Ein Drittel der Studierenden hält Politik für unwichtig

Die aktuelle Befragung der Universität Konstanz, an der im Wintersemester 2012/2013 rund 5000 Studierende an 25 Hochschulen teilnahmen, zeigt ein historisches Tief des politischen Interesses unter Studentinnen und Studenten. Lediglich 24 Prozent von ihnen halten Politik für ein sehr wichtiges Thema, dagegen können 29 Prozent überhaupt nichts mit Politik anfangen. Zum ersten Mal liegt damit der Anteil der politisch Desinteressierten über dem der politisch sehr Interessierten. Zwei Jahre nach dem Start der Bologna-Umsetzung befanden noch 33 Prozent der Studierenden Politik für sehr wichtig. Die Identifikation mit Parteien und das Interesse an studentischer Hochschulpolitik ist seitdem ebenfalls gesunken.

Bildungsministerin Wanka findet diesen Befund „bedauerlich“. Gerade zum 25. Jahrestag des Mauerfalls appelliert sie „eindringlich an die junge Generation, die politische Freiheit in unserem Land zu nutzen und gerade auch für die Belange von Studierenden aktiv zu werden.“

Die Forscherinnen und Forscher sehen die Ursachen dafür neben den strikteren Studienverhältnissen seit Bologna auch in der zunehmenden Komplexität der Politik und einer allgemeinen politischen Apathie in der Bevölkerung. Die Hälfte der Studierenden findet zum Beispiel die Studienlast zu groß und leidet unter Prüfungsangst. Zu Beginn der Bologna-Reform klagte nur ein Drittel der Studierenden darüber.

Der neue Pragmatismus macht unpolitisch

Die Umfrage lässt zudem erahnen, dass sich die höheren Leistungsanforderungen in Verbindung mit dem strikteren Studienverlauf ebenfalls auf die persönlichen Ziele der Studierenden auswirken. Mit 79 Prozent belegt die Aussicht auf einen interessanten Beruf den ersten Platz unter den studentischen Erwartungen an das Hochschulstudium. Zwei Drittel erwarten außerdem ein hohes Einkommen durch ihr Studium, das sind 16 Prozentpunkte mehr als noch 2001. Die Forschung spielt für die meisten Studierenden keine Rolle, lediglich 20 Prozent empfinden sie als wichtig.

Im Survey heißt es dazu: „Das Studieren gilt weniger als methodische, theoriegeleitete Ausbildung und als neugieriges, forschendes Lernen, sondern es dient mehr dem Erlangen einer Qualifikation und dem Erwerb von Employability, d. h. der Vorbereitung auf den Beruf zur Sicherung der eigenen Zukunft.“

Gender Gap bleibt bestehen

Derweil sind zwei alte Baustellen der Bildungspolitik weiterhin sichtbar. Zum einen weisen die Hochschulen immer noch eine hohe soziale Selektivität auf. Knapp 60 Prozent der Studierenden stammen aus Familien, in denen bereits die Eltern ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Diese Zahl ist über die letzten Jahre konstant geblieben. Das Hochschulsystem bleibt damit sozial recht geschlossen.

Zum anderen steigt zwar der Frauenanteil unter den Studierenden, allerdings bleibt die Wahl der Fachrichtung in traditionellen Geschlechterrollen verhaftet. Trotz öffentlicher Werbung und zahlreichen Informationsveranstaltung zum Thema Frauen in männerdominierten Bereichen, bleiben insbesondere die Ingenieur- und Naturwissenschaften fest in Männerhänden. 72 Prozent der angehenden Ingenieure sind männlich und 81 Prozent der angehenden Physiker. Dagegen sind in den Sprach- und Erziehungswissenschaften Studentinnen klar in der Überzahl. Da die Abgänger der „weiblichen“ Fachrichtungen deutlich schlechter bezahlt werden, verfestigt sich bereits an der Universität die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen.

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Autor*in
Hendrik Benjamin Iding

studiert Politologie sowie Soziologie an der Universität Potsdam und ist von Oktober bis Dezember 2014 Praktikant beim vorwärts.
 

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